EIN DREIFACH HOCH AUF WIRTSCHAFTSFLÜCHTLINGE

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Wer bestimmt, wer bei uns  willkommen ist? 

Wer soll das sein, ein »Wirtschaftsflüchtling«? Der deutsche Chirurg, der in die USA auswandert, weil er dort ein Vielfaches verdient? Die philippinische Krankenschwester, die sich in Berlin eine neue Existenz aufbaut? Oder der Architekt aus Wien, der seit Jahrzehnten in Sao Paulo arbeitet? Auf VOX läuft seit Jahren eine erfolgreiche Doku-Soap mit dem Titel »Goodbye Deutschland!«. Sie erzählt, wie es Deutschen ergeht, die im Ausland ihr Glück versuchen. Niemand käme auf die Idee, die dort Porträtierten mit dem Unwort »Wirtschaftsflüchlinge« zu bezeichnen. Dieser Begriff passt auf sie ebenso wenig wie auf junge Männer, die mit Branntkalk und selbstgebastelten Flammenwerfen bewaffnet gewaltsam eine Grenze stürmen.

Menschen, die im Ausland ihr Glück versuchen, nennt man im allgemeinen Migranten. Erst seit es im öffentlichen Diskurs keine Migranten mehr gibt, sondern nur mehr Flüchtlinge, ist von Flüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen die Rede. Wobei Letztere ganz unten in der Willkommens-Hierarchie stehen. Menschlich sei es zutiefst verständlich, dass sie ihre Heimat zurückließen, heißt es dann, aber leider, wir könnten nun mal nicht jeden aufnehmen, also müssten sie wieder zurück. Qualifikation, Sprachkenntnisse, Integrationswille – all das dürfe keine Rolle spielen. Bleiben darf, wer daheim verfolgt wird, gehen muss, wer nicht.

Ein islamistischer Analphabet, der ein Schutzbedürfnis glaubhaft machen kann, hat bei uns um ein Vielfaches höhere Chancen auf ein Leben in Europa als eine gut ausgebildete katholische Köchin, die einfach nur ihre Lebensumstände verbessern will. Hält das ernsthaft jemand für vernünftig? Hand aufs Herz: Wen ich bei mir zuhause zum Essen einlade, richtet sich danach, mit wem ich gerne meine Zeit verbringe, nicht danach, wer am meisten Hunger hat. 

Ein Land, das nicht selbst bestimmt, wen es aufnimmt, und das weder die Zahl der Immigranten noch die Anforderungen an sie an den eigenen Interessen ausrichtet, legt in einem wesentlichen Punkt die Kontrolle über das Staatsgebiet in fremde Hände. Selbst wenn man absolut treffsicher die Asylgründe jedes einzelnen prüfte (angesichts der Realität eine ziemlich kühne Annahme), ändert das nichts am Wesentlichen: Wer verfolgt wird, braucht Schutz – dass er sein Leben samt seinen Angehörigen fortan in Europa verbringen soll, folgt daraus nicht.

Dass bei vielen Wählern Parteien wieder mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit punkten können, ist nicht zuletzt eine Folge des gefühlten und zum Teil tatsächlichen Kontrollverlusts über die Identität der eigenen Gesellschaft. Wir drücken uns seit Jahrzehnten um den Diskurs darüber, wer hier willkommen ist und wer nicht. Wer die bedingungslose Aufnahme aller Verfolgten dieser Erde in Europa für keine so prickelnde Idee hält, wird prompt als »rechts« verortet, was zumindest in Deutschland mit sich bringt, aus der »seriösen« politschen Debatte ausgeschlossen zu werden. Doch ein Pendel, das zurückschlägt, bleibt nicht in der Mitte stehen. Von »no borders, no nation« zu »Ausländer raus« ist es deshalb nur ein kleiner Schritt. 

Die Europäische Union sollte nicht versuchen, mit Zwangsmaßnahmen Neuankömmlinge auf Staaten zu verteilen, in denen größtmögliche gegenseitige Abneigung herrscht. Die Migranten wollen nicht in diese Länder, und diese Länder wollen diese Migranten nicht. Bei der Ausgangsbasis gibt es nur Verlierer. Das kann man zur Kenntnis nehmen, auch als deutsche Kanzlerin, und auch, wenn man selbst anders denkt.

Außerhalb Europas ist längst ein Wettbewerb um Menschen entbrannt, die mit ihrer Qualifikation und ihrer Leistungsbereitschaft positiv zur Entwicklung der aufnehmenden Gesellschaft beitragen. Marktwirtschaftlich formuliert: Wo Angebot und Nachfrage zusammenpassen, entwickelt sich Migration zum beidseitigen Vorteil. Niemand bei Verstand kann etwas gegen Einwanderer haben, die dazu beitragen, den Wohlstand des aufnehmenden Landes zu mehren und dessen Werte teilen.

Wir müssen dringend Antworten auf drei Fragen finden: Wie und wo schützen wir Schutzbedürftige am besten? Welche Kriterien müssen Drittstaatsangehörige erfüllen, um sich auf Dauer hier niederlassen zu können? Und wie gewinnen wir die Kontrolle über die europäischen Außengrenzen, weil sonst alle anderen Fragen obsolet werden? Ein Abwehrkampf gegen so genannte »Wirtschaftsflüchtlinge« ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss.

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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.