DIE UNGLAUBWÜRDIGEN

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Politik am Würstelstand

Hinter der Oper in Wien beim Würstelstand stehen zwei Herren in dunklen Anzügen. Es ist spät, schon nach elf Uhr abends. Robert, der größere der beiden, hat vor einem Jahr seine Frau verloren, seit damals mindestens zehn Kilo zugenommen und kann seine offene Hose unter dem Sakko nur mehr mit einem Gürtel festhalten. Erwin, sein bester Freund seit Jahren, in engster Gemeinschaft mit seinem Hund lebend, geht ihm bis zur Schulter, hat dichtes, graues Haar und steht rund und fest vor seiner geschnittenen Burenwurst und dem süßen Senf mit leicht gespreizten Beinen. 

»No, was sagst du zu der Regierung?« Fragt Robert, spießt ein Stück Wurst mit einem Zahnstocher auf und versucht so viel Senf wie möglich darauf zu laden.

»Ich versuch, meine Wurst zu genießen, mach es mir nicht kaputt«, antwortet Erwin und probiert gleich zwei Stücke mit einem Zahnstocher zu erwischen.

»Was der Strache jetzt versucht, ist doch nicht glaubwürdig. Mich überzeugt es nicht!« Sagt Robert und macht eine kurze Pause vorm nächsten Stück Burenwurst.

»Hat er dich je überzeugt?« Fragt ihn Erwin.

»Nein, eigentlich nicht«, sagt Robert und nimmt einen Schluck aus der Bierdose.

»Na eben, warum sollte er dann plötzlich glaubwürdig sein, für jemanden wie dich?« Fragt Erwin. 

»Er sollte sich glaubwürdig von den Rechtsextremisten distanzieren!« Robert wird lauter und hat seine Wurst vergessen.

»Glaubwürdig für wen? Wer soll ihm plötzlich glauben, der ihm bisher nicht geglaubt hat?« Auch Erwin hat aufgehört zu essen.

»Ich verstehe nicht, warum du das so leichtnimmst, der ganze braune Sumpf, in dem diese Partei bis zu den Knöcheln steckt?« Robert nahm wieder einen Schluck aus der Bierdose, den Rest der Wurst rührte er nicht an.

»Lenk nicht ab, es ging ums glaubwürdig sein. Was sollten sie tun, damit du ihnen glaubst?« Fragte Erwin.

»Na ja, das ist doch ganz einfach. Sich für alle überzeugend von der extremen Rechten distanzieren!« Sagte Robert.

»Und? Was ist für die überzeugend, und wer sind alle?« Fragte Erwin.

Robert begann wieder in seiner Wurst herumzustochern, offensichtlich um Zeit zu gewinnen.

»Du verteidigst die auch noch?« Fragt er plötzlich.

»Darum geht’s nicht. Es geht für dich um Glaubwürdigkeit. Du erwartest von ihnen ein Verhalten, das dich überzeugt, so dass du ihnen glauben kannst. Du hast ein Problem mit deinem Glauben, nicht mit deren Verhalten«, antwortet Erwin, und auch er versucht sich wieder seiner Wurst zu widmen.

»Was hat denn das mit Glauben zu tun?« Fragt Robert leicht verärgert.

»Genau so viel wie mit glaubwürdig…«, sagt Erwin jetzt ganz langsam und starrt auf die Burenwurst. »Verdammt, jetzt ist die Wurst kalt«, sagt er plötzlich und schiebt den Papierteller weg.

»Meine auch«, sagt Robert.

»Sollen wir eine frische bestellen« Fragt Erwin.

Robert lacht und sagt: »Das kannst du dir leisten!«

»Und du nicht?« Fragt ihn Erwin.

Robert zuckt mit den Achseln und sie lachen beide.

»Du willst mir glaubwürdig versichern, dass du dir keine zweite Burenwurst leisten kannst?« Fragt Erwin.

»Das werde ich nicht schaffen, leider, sonst würdest du mich vielleicht einladen«, sagt Robert und grinst hoffnungsvoll.

»Eben, weil ich dich kenne, oder glaube, dich zu kennen und annehme, dass du genug Geld hast für eine Burenwurst, alles andere wäre unglaubwürdig«, sagt Erwin.

»Du meinst, ich könnte dich nicht glaubwürdig überzeugen, dass du mir eine Wurst spendierst, weil ich nicht genug Geld hätte?« Fragt Robert.

»Nein, könntest du nicht. Ich würde dir eine kaufen, weil ich an unsere Freundschaft glaube und du mich nicht glaubhaft überzeugen musst, dass du kein Geld hast. Egal, was du sagst, ich könnte dir nicht glauben, dass du dir keine Wurst leisten kannst. Es ist eben unglaubwürdig.« Sagt Erwin.

»Also, um mit deiner Logik zu reden, wenn ich an die Distanz zwischen Strache und die Rechtsextremen glauben würde, hätte ich auch kein Problem mit seiner Glaubwürdigkeit? Da ich allerdings nicht daran glaube, wird er für mich immer unglaubwürdig sein, egal, was er sagt oder tut?« Fragt Robert und lacht wieder.

»Genau, jetzt hast du es kapiert. Glaubwürdig ist er für seine Anhänger, egal was er tut, egal was er sagt, also für alle, die an ihn glauben. Unglaubwürdig ist er für seine Gegner, egal, was er sagt, egal, was er tut, weil sie eben nicht an ihn glauben wollen. Und als Belohnung bestell ich jetzt zwei frische Burenwürstel und zahle beide!« Sagt Erwin und wendet sich an den Verkäufer.


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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