Photo: IRNA; Minister Mahmoud Vaezi and the Swedish Minister of European Union Affairs and Trade Ann Linde
Walk of Shame
Am 8. März 1979 gingen mehr als 100.000 Frauen in Teheran auf die Straße. Ganz ohne WhatsApp, Twitter und Facebook versammelten sie sich am Internationalen Frauentag in der iranischen Hauptstadt, um gegen die drohenden Bekleidungsvorschriften des neuen islamischen Regimes zu protestieren.
Zuversichtlich lächelnd, ihre Arme energisch zum Protest erhoben, marschierten die persischen Frauen durch die Straßen Teherans. Vergeblich, wie wir heute wissen. Binnen weniger Monate hat die Islamische Republik Iran unter Ayatollah Khomeini alle Rechte der Frauen drastisch beschnitten, die in den 70 Jahren davor mühsam erkämpft worden waren.
Die Einhaltung konservativ islamischer Bekleidungsvorschriften wurde rigoros überwacht, Frauen wurden vom Richteramt ausgeschlossen, in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens, von Schulen und öffentlichen Bussen bis hin zu Stränden und Schipisten wurde eine strikte Geschlechtertrennung eingeführt. Das Heiratsalter für Mädchen wurde auf 9 Jahre (!) herabgesetzt und erst 2002 wegen des internationalen Drucks auf 13 Jahre angehoben.
Die Kopftuchpflicht wurde mit der ganzen Staatsgewalt eines autoritären Regimes durchgesetzt. Revolutionswächter prügelten Frauen, denen der Hijab verrutscht war, von der Straße oder führten sie gleich der Gerichtsbarkeit zu: Die Verletzung der Verhüllungsvorschriften, gepaart mit Vorwürfen „sündhaften Auftretens“, wird mit bis zu 74 Peitschenhieben oder 60 Tagen Gefängnis bestraft.
Im April 2007 griff das Regime unter Ali Khameneis Führung besonders brutal durch. Allein in Teheran wurden Tausende Frauen verwarnt und hunderte ins Gefängnis geworfen. Wie viele von ihnen dort misshandelt wurden, wird die Welt nie erfahren.
Ein sexuelles Apartheidsregime
Bis heute sind Frauen im Iran Menschen zweiter Klasse. Die Islamische Republik Iran ist ein sexuelles Apartheidregime, in dem Männer ihre Ansprüche gegenüber Frauen jederzeit gewaltsam durchsetzen können. Gewalt in der Ehe bis hin zur Vergewaltigung ist erlaubt. Innerfamiliäre „Ehrenmorde“ bleiben praktisch straffrei oder werden mit der Zahlung von „Blutgeld“ geregelt. Frauen sind in allen Lebensbereichen stark benachteiligt und vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt.
Der Gipfel der Perversion dieses angeblichen Gottesstaats: Iranische Geistliche schließen so genannte „Zeitehen“ zwischen zum Tode verurteilten Jungfrauen und Gardisten der „Pasdaran“, der iranischen Revolutionsgarde: Weil Jungfrauen nach islamischem Recht nicht hingerichtet werden dürfen, vergewaltigt man sie eben vorher.
Bis heute kämpfen die tapferen iranischen Frauen um ihr Recht. Manche müssen dafür mit ihrem Leben bezahlen. 2009 wurde eine junge Frau namens Neda zur Märtyrerin der Protestbewegung. Vor den Augen ihres Vaters wurde sie von einem Scharfschützen der Revolutionsgarden ins Herz getroffen. Der Film von ihrem Tod auf offener Straße ging auf Youtube um die Welt.
Seit zwei Jahren tragen die Iranerinnen den Protest ihrer Mütter von der Straße ins Internet. Auf der Website mystealthyfreedom.net zeigen sie sich öffentlich ohne Schleier. Unter dem Hashtag #MyForbiddenSong veröffentlicht die Website auch Videos von singenden Iranerinnen. Denn selbst öffentliches Singen ist Frauen im Iran untersagt.
All das muss man nicht wissen. Außer man bezeichnet sich selbst offiziell als „erste feministische Regierung der Welt“ und ist auf Staatsbesuch in Teheran.
Wie man sich die „feministische Außenpolitik“ Schwedens vorstellen darf, konnte die Welt vergangenen Samstag sehen, als die Handelsministerin Ann Linde eine Delegation weiblicher Regierungsmitglieder anführte, die dem iranischen Präsidenten Rohani ihre Aufwartung machte. Züchtig verhüllt und dabei noch grinsend traten die Schwedinnen zum Defilee vor den iranischen Würdenträgern an.
Mit dieser Geste der Unterwerfung haben sie nicht nur jeglichen Begriff von „Feminismus“ ad absurdum geführt und sind ihren iranischen Schwestern in den Rücken gefallen. Sie haben auch alle Werte verraten, die sich Europa so gern auf seine Fahnen heftet, solange es wohlfeil ist. Was sind schon Frauenrechte, wenn es darum geht, einen Deal an Land zu ziehen?
Wenn es darauf ankommt, verblassen die europäischen Werte zu hohlen Phrase. Menschenrechte? Gleichberechtigung von Mann und Frau? Wozu dafür einstehen, wenn es vielleicht mit einem, wenn auch noch so kleinen, Nachteil verbunden sein könnte. Die eigene moralische Überlegenheit kann man schließlich auch bei der Kritik an Trump oder beim Einsatz für gendergerechte Toiletten zur Schau stellen.
Nachdem Matteo Renzi im Vorjahr eigens für Rohanis Staatsbesuch römische Statuen verhüllen ließ, die älter sind als die Religion, deren Führer sie vielleicht beleidigen hätten können, ist das der zweite symbolträchtige Kotau einer europäischen Regierung vor dem islamfaschistischen Regime.
Und irgendwo in Teheran singt eine junge Frau ein Lied und träumt von Freiheit.
Zuerst erschienen auf mena-watch
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