Der Parteivorsitzende der SPÖ setzt im Wahlkampf auf Emotion und Klassenkampf. Damit wandelt Andreas Babler auf einem schmalen Grat.
Zugegeben: nach ein paar Jahrzehnten als interessierter Beobachter des politischen Geschehens ertrage ich Wahlkämpfe immer schwerer. Leere Versprechungen und hohle Phrasen wechseln sich ab mit hohlen Phrasen und leeren Versprechungen. Und die Sommergespräche mit den einzelnen Kandidaten, angerichtet mit einer Mischung aus Oberflächlichkeit und Selbstdarstellung, gewürzt mit einer Prise Parteiideologie, sind normalerweise auch nicht gerade eine Oase der Erkenntnis in der intellektuellen Wüste.
Und dann kam Babler. Sein Wortschwall emotionalisiert, auch wenn die Worte selten zu einem ganzen Satz zusammenfinden. Da spricht zweifellos jemand, der eine Mission hat. Doch der messianische Zauber prallt an mir ab – auf mich hat Babler eher die Wirkung eines Verkehrsunfalls: man ist schockiert, aber man sieht hin.
Eine andere Welt
Wieder aus der Schockstarre erwacht, stellt sich nämlich unwillkürlich die Frage, ob ich im selben Land lebe wie der Parteiobmann der SPÖ. Sind wir tatsächlich ein Land, in dem jedes fünfte Kind keine warme Mahlzeit hat und keine Wintersachen? Laufen im November in jeder Schulklasse fünf, sechs Kinder in Sandalen rum? Natürlich nicht, erklärt der Präsident des Fiskalrates, Christoph Badelt.
Nicht die einzige maßlose Übertreibung. Braucht man in Wien wirklich eine Kreditkarte, wenn man einen Blinddarmdurchbruch hat? Ist der Sozialstaat komplett am Ende? Und was sagen eigentlich Michael Ludwig, Peter Kaiser und Hans Peter Doskozil dazu?
Bablers Beschreibung der Realität geht über die übliche Zuspitzung einer politischen Botschaft hinaus. So wie autoritäre Populisten vom rechten Rand des Spektrums entwirft er eine Dystopie, vor der allein seine Person uns bewahren kann. Ich habe nicht nachgezählt, aber gefühlt sagt kein anderer Kandidat so oft „ich“ wie Babler.
Überhaupt ist die Welt, in der Andreas Babler lebt, sehr viel dunkler als die meine. In meiner Welt ist die EU ein freiwilliger Zusammenschluss von 27 Staaten, der – bei aller Kritik – hunderttausenden Bürgern mehr Freiheit und Wohlstand gebracht hat. Man kann in Paris ebenso studieren wie in Wien, in Bordeaux genauso arbeiten wie in Linz und man bekommt seine Pension in Abano genauso ausbezahlt wie in Traiskirchen. Für Babler hingegen ist die EU ein „neoliberalistisches, protektionistisches … Konstrukt in der übelsten Art und Weise und das aggressivste außenpolitische Bündnis, das es je gegeben hat … schlimmer als die NATO.“
Bablers Beschreibung der Realität geht über die übliche Zuspitzung einer politischen Botschaft hinaus.
Und nein, das ist keine Jugendsünde, sondern stammt aus 2020. Normalerweise hätte sich allein damit die Frage nach der Kanzlerfähigkeit Bablers erledigt, aber was ist bei uns schon normal. In den Sommergesprächen war die EU jedenfalls kein Thema.
Bablernomics
Apropos Dystopie. Julia Herr, eine enge Vertraute Bablers, ist heute Abgeordnete zum Nationalrat und stellvertretende Klubvorsitzende der Parlamentsfraktion. 2014 war sie noch Vorsitzende der Sozialistischen Jugend. Ihr Programm: Der Kapitalismus ist schlecht, man möge sich doch Venezuela zum Vorbild nehmen.
Herrs Wort in Bablers Ohr. Sein Wirtschaftsprogramm beinhaltet tatsächlich Elemente, die dazu angetan sind, aus Österreich ein Venezuela ohne Öl zu machen. Die „24 Ideen für Österreich“ sind eine Mischung aus staatlicher Allmachtsphantasie, rückwärtsgewandten Träumereien und Rezepten aus der Mottenkiste marxistischer Ökonomie.
An dieser Stelle nur ein paar wenige Punkte: Eine von der Inflation unabhängige Mietpreisbremse für alle Wohnungen ist ein sicherer Weg in die Verknappung des Wohnungsangebots. Die Verknappung wird durch eine Zinsobergrenze für Wohnungskredite noch verschärft, weil sie das Einpreisen von individuellen Risiken des Kreditnehmers verhindert. Ein knappes Angebot führt zwangsläufig zu höheren Preisen. Können diese nicht auf die Mieten umgelegt werden, kommen keine Mietwohnungen mehr auf den Markt.
Dass die 4-Tage-Woche den Arbeitskräftemangel beheben könnte, glaubt nicht einmal die SPÖ selbst, sonst hätte sie sie intern längst umgesetzt. Auch die Ideen zur Gesundheit scheinen wenig durchdacht: Wen kann man eigentlich klagen, wenn man binnen 14 Tagen nicht einen kostenlosen Facharzttermin vermittelt bekommt? Oder werden österreichische Fachärzte künftig zur Zwangsarbeit verdonnert? Und ist es wirklich Aufgabe des Staates, jedem ein Zeitungsabo zu finanzieren? Wie auch immer. Finanziert sollen diese und alle anderen Wohltaten jedenfalls mit den Fantastilliarden aus der „Millionärssteuer“ werden. Geht sich sicher aus.
All das fügt sich in ein Weltbild, in dem Aktien perfide Instrumente zur Verarmung der Massen sind, die ausgesprochen zielgerichtet funktionieren. Die hundert Reichsten machen sie immer reicher, während sie die kleinen Anleger ins Elend stürzen. Bablers Ausführungen zum Thema im OE24-Sommergespäch kann man hier auf X nachhören.
Hauptgegner SPÖ
Nun ist es jedem Kandidaten unbenommen, wie er um Wähler wirbt. Der eine sucht sein Heil im Angriff auf die „Eliten“, der andere eben im Klassenkampf. So ist das nun mal. Das eigentliche Alleinstellungsmerkmal Bablers ist, dass er weniger gegen die politischen Mitbewerber kämpft als gegen die eigene Partei.
Freilich, die Zurufe aus dem Burgenland sind lästig, der Linzer Bürgermeister war nicht hilfreich und Bures‘ Brief war eine Intrige, gleichwohl ihr „Verdacht der Unernsthaftigkeit“ natürlich zurecht besteht. Aber es ist eher keine gute Idee, sich als Macher zu inszenieren, indem man fordert, was bereits entschieden ist, zumal auch diese Information prompt an die Medien gelangte. Und eine noch schlechtere Idee ist es, die eigene Partei im ORF-Sommergespräch fünf Wochen vor der Wahl dermaßen abzuwatschen, dass die Wangen noch lange nach dem 29. September glühen.
Andreas Babler hat sich am Montag als Kämpfer gegen das Establishment der SPÖ positioniert. Das macht einen Wahlerfolg nicht gerade leichter und dürfte ihm nicht gut bekommen. Rutscht er unter die 21,18 Prozent von Rendi-Wagner im Jahr 2019, sind seine Tage gezählt. Fährt er einen Erfolg ein, tickt die Uhr für ihn nur ein wenig langsamer.
Zuerst erschienen im Pragmaticus.
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