DER CHURCHILL EFFEKT

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Foto: BKA/Arno Melicharek (cropped)

Dankbarkeit ist keine politische Kategorie

Die Umfragen betreffend Unterstützung der Regierung erreichen derzeit in Österreich noch unvorstellbare Fantasiewerte. Bundeskanzler Kurz ist beliebter denn je zuvor, und selbst ausländische Zeitungen beschäftigen sich mit dem Phänomen dieses erfolgreichen Politikers. In Analysen der Post-Corona-Zeit wird ihm eine langjährige Kanzlerschaft prophezeit mit dem Argument, dass man ihm die erfolgreiche Bekämpfung der Corona-Probleme ewig danken werde. 

Doch es gibt ganz andere Schicksale von in Krisenzeiten erfolgreichen Persönlichkeiten, für die das Interesse der Bevölkerung spontan abnahm, sobald die Schwierigkeiten vorüber waren. Bekanntestes Beispiel: Winston Churchill, eine der großen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, mit einer wechselhaften politischen Karriere: 1940 wurde er britischer Premier und führte Großbritannien durch den Zweiten Weltkrieg. Doch als der Krieg zu Ende war, wurde er, der Kriegsheld, zu Hause vernichtend geschlagen. Vor 60 Jahren, am 26. Juli 1945, verlor Winston Churchill die Unterhauswahlen wenige Wochen, nachdem er als Retter Großbritanniens gefeiert worden war.

»Das ist euer Sieg! Die Sache der Freiheit hat in jedem Land gesiegt.« Rief er noch am 8. Mai 1945 einer großen Menschenmenge zu. Drei Monate später war Winston Churchill nicht mehr im Amt. Er –der Sieger des Kampfes gegen Deutschland – verlor gegen seinen Herausforderer Clement Attlee, einem eher farblosen Politiker des linken Flügels der Labour Party.

Mitten während der ›Konferenz zu Potsdam‹ im Sommer 1945 über die Neugestaltung Europas nach der Niederlage der Deutschen löste er Winston Churchill als britischen Verhandlungsführer ab. Churchill war der Auffassung gewesen, dass Deutschland nicht zu viele Ostgebiete verlieren dürfe, insbesondere Schlesien. Doch Clement Attlees Unerfahrenheit hatte zur Folge, dass Stalin sich in allen Punkten durchsetzte, da Attlee durch seine Hilflosigkeit ungewollt die Position des US-Präsidenten H. Truman untergrub. Heute erinnert übrigens der Attlee-Gletscher in der Antarktis an ihn, der nach ihm benannt wurde.

Winston Churchill, geboren 1874, stammte aus einer alten englischen Adelsfamilie. In der Schule war er ein Versager, erst beim Militär fand er seine erste Erfüllung. Seine zweite Leidenschaft war das Schreiben, er wurde Kriegsberichterstatter, Journalist und Schriftsteller – 1953 bekam er den Nobelpreis für Literatur. 1900 zog er für die Konservativen ins Parlament, wechselte später zu den Liberalen und hatte eher Sympathie für die Sozialisten als für die Konservativen. Nach dem Sturz der liberalen Regierung ging er allerdings zurück zu den Konservativen und rückte auf der politischen Skala immer weiter nach rechts.

Churchill hasste Hitler von Anfang an, und nach dem Scheitern der Appeasement-Politik wurde er 1940 Premier und Kriegsminister einer Allparteienregierung. 

»Dieser Schwätzer und Trunkenbold Churchill, was hat er wirklich an dauernden Werten geschaffen, dieses verlogene Subjekt, dieser Faulpelz ersten Ranges?« Sagte Hitler über ihn.

Der Sieg der Briten über die Deutschen war Churchills Verdienst, und dennoch wurde er abgewählt. Er schaffte es nicht, der Bevölkerung eine Pause des Friedens zu garantieren und versuchte, sie auf den nächsten Kampf vorzubereiten: Den gegen den Kommunismus. Sein Wahlkampf war geprägt von Kriegs-Rhetorik und Warnungen vor einer ›Roten Gefahr‹, doch die Bevölkerung hatte genug vom Krieg und den damit verbundenen Einschränkungen des täglichen Lebens, sie sehnte sich nach einer Zeit des Friedens, des Wiederaufbaus und Wohlstand.

Doch Churchill gab nicht auf, gewann 1951, bereits 77 Jahre alt, die Parlamentswahlen und übernahm die Regierungsverantwortung, bis er 1955 wegen gesundheitlicher Probleme zurücktrat. Er starb 1965 im Alter von 91 Jahren.

Ob es Ähnlichkeiten mit Sebastian Kurz geben könnte wird sich zeigen. Der siegreiche Kampf in Zeiten der Viruskrise könnte auch ihm wenig helfen bei künftigen Wahlen, wenn es ihm nicht gelingt, die Bevölkerung zu überzeugen, dass seine Fähigkeiten auch in ruhigen Zeiten ihren Platz haben. Churchill wurde wegen seiner Kriegs-Rhetorik gefeiert und verachtet, zu unterschiedlichen Zeiten war er jedoch immer seinem Stil treu. Er verweigerte die Anpassung an verschieden politische Epochen und blieb der Haudegen und aggressive Rhetoriker. Am Höhepunkt des ›Kalten Krieges‹ gelang ihm deshalb auch die Rückkehr in die Politik.

Das Schicksal der Türkis-Grünen Regierung wird sich in der Post-Corona-Zeit zeigen, inwieweit sie sich umstellen kann auf eine veränderte Erwartungshaltung in der Bevölkerung. Dankbarkeit für vergangene Heldentaten haben in veränderten Zeiten noch nie politische Erfolge garantiert. 


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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