DAS CORONA TWITTER GESELLSCHAFTSSPIEL

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Aus dem Corona Tagebuch (3)

Allein zuhause mit Familie – wenn überhaupt – bleibt neben dem Telefon eigentlich nur mehr der Computer als Verbindung zu anderen Menschen über die diversen Social-Media Systeme. Immer noch führend auf diesem Markt ist Facebook, weit abgeschlagen, jedoch öfters in den Medien zitiert, sind Veröffentlichungen auf Twitter.

In Österreich gibt es etwa 200.000 Twitter Accounts, das sind ganze 2 Prozent der Bevölkerung, also ein Winzig-Markt im Vergleich zu den fast 3 Millionen Facebook Benutzern. Dennoch hat Twitter eine andere Entwicklung durchgemacht in den letzten Jahren, und im Vergleich zu der geringen Anzahl an Benutzern eine weitaus größere Wirkung, mit Stars der Twitter-Szene, die bis zu mehreren Hunderttausend Follower haben und in der Gruppendynamik als ›Massen-Ficker‹ bezeichnet werden.

In Zeiten der Krisen zeigt dieses Medium, was es wirklich wert ist, und schafft sektenartige Fan-Klubs, die eisern zusammenhalten. Ich nahm mir vor, hier keine Namen zu nennen, denn jeder kann sich die Hitliste der Follower im Internet ansehen und es ist durchaus amüsant, deren Kommunikation mit ihren Sekten-Mitgliedern zu verfolgen. Ein einstimmiges ›Hurraah‹ mit der Lautstärke eines Chors mit Hunderten von Mitgliedern folgt jeder Veröffentlichung, und wenn es auch nur ein Bild des Arbeitsplatzes in Zeiten des Infektionsrisikos ist. Selbst sonst schwer zu findende Weisheiten wie »Leute, bleibt zu Hause« bekommen Dutzende rote Herzen und der Verein rund um den Twitterer/Twitterin wird so an seine stolzen Mitgliederzahlen erinnert. 

Wenn einem besonders langweilig ist, schlage ich folgendes Spiel vor:

Suchen Sie sich einen Twitter-Account mit möglichst vielen Followern, das heißt einer möglichst großen Sekte, die sich um ihn/sie schart. Studieren Sie die Reaktionen und Antworten auf die Veröffentlichungen des Stars, um auch deren Stil zu erkennen, und wenn es ausreichend genug sind, können Sie mit ihrem Spiel beginnen:

1. Der einfache Widerspruch

Schreiben Sie einfach das Gegenteil von dem, was behauptet wird, wobei es nicht um die Sache geht, sondern um den Widerspruch. Was immer vom Star gelobt wird, kritisieren Sie, und was kritisiert wird, finden Sie einfach toll. Der Star selbst wird selten antworten, außer Sie haben es in der Sekte zu einem ›höheren‹ Rang gebracht, aber darum geht’s auch nicht. 

Der eigentliche Spaß beginnt mit den Reaktionen der anderen Sektenmitglieder. Gläubige Follower werden nicht zulassen, dass hier widersprochen wird, und treten in Vertretung des Sektenführers auf, um ihn/sie zu verteidigen. Der Provokation folgt dann eine manchmal faszinierende Reaktion mit Angriffen gegen Sie und Verteidigung des Herdenführers. Je nach Laune kann man das weiterführen und wieder reagieren und in einer oft absurd verschachtelten Folge von Aktion und Reaktion einen ganzen Roman von Rede und Gegenrede provozieren und produzieren.

2. Der doppelte Widerspruch 

Sind Sie mit Teil eins fertig und wird auch das langsam langweilig, können Sie Menge und Intensität der aufgeregten Antworten noch steigern. Nehmen wir an, der Twitter-Star A schreibt über eine bekannte Persönlichkeit B, lobt oder kritisiert sie. Da schrieb zum Beispiel einer jener mit mehreren Hunderttausend Followern, dass ein gewisser B ein ›toller Mann‹ sei. Dann schreiben Sie einfach als Reaktion, der sei nicht toll, sondern ein Idiot. Falls es um eine Kritik an B durch A geht, dann loben Sie B einfach und fügen hinzu, dass A nichts von B verstehen würde.

Nun setzt folgendes ein. Sie setzen die Sektenmitglieder unter doppelten, vielleicht sogar dreifachen Zwang. Diese müssen nicht nur A in Schutz nehmen, dessen Angriff auf B verteidigen und auch noch B beurteilen, und all das in den wenigen Zeilen, die Twitter zugesteht.

Das geht sich meistens nicht aus mit den paar Worten und wird verkürzt und verkürzt, bis entweder übrig bleibt, wie blöd Sie sein müssen, wenn Sie die Autorität A attackieren, die Wahrheit über B nicht erkennen könnten oder an der Urteilskraft von A gegenüber B zweifeln würden – aber irgendeine Meinung dieser drei hat meistens keinen Platz mehr.

Diese Konversation könnte fortgeführt werden mit Antworten an die empörten Follower und es wird sich ein Heer von Unterstützern zu Wort melden. Sie könnten die Kommunikation steuern mit Meinungen zu A, dessen Ansichten über B oder der Bewertung von B, je nach Lust und Laune.

Wenn ihnen Beispiel zwei dann auch irgendwann fad wird, muss ich Sie derzeit enttäuschen, ein drittes Spiel ist mir noch nicht eingefallen.


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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