ARZTGESPRÄCH

A

Soll ich oder soll ich nicht?

Arzt: »Sie hätten früher kommen sollen, diesmal war es fast zu spät.«

Patient: »Was meinen Sie mit fast?«

Arzt: »Das hätte schief gehen können, wären Sie nicht jetzt gekommen«.

Patient: »Aber es ist doch in Ordnung jetzt?«

Arzt: »Es ist zwar in Ordnung, ich würde Ihnen dennoch eine weitere Behandlung empfehlen«.

Patient: »Was für eine weitere Behandlung?«

Arzt: »Man könnte zur Sicherheit noch direkt einen Eingriff machen«.

Patient: »Aber Sie meinten doch eben, es sei jetzt alles in Ordnung«.

Arzt: »Ja, das ist es auch, aber genau weiß man das nie«.

Patient: »Hat nicht der Eingriff auch seine Gefahren?«

Arzt: »Schon, aber die sind minimal.«

Patient: »Größer oder kleiner als das Risiko, wenn ich den Eingriff nicht mache?«

Arzt: »Wie meinen Sie das?«

Patient: »Wenn ich den Eingriff nicht mache, reduziere ich das Risiko des Eingriffs, wenn ich den Eingriff zulasse, reduziere ich das Risiko einer nicht entdeckten Erkrankung?«

Arzt: »Ja, so ungefähr könnte man es sagen….«

Patient: »Also welches Risiko ist dann größer? Oder was ist gefährlicher, Eingriff oder nicht entdeckte Erkrankung?«

Arzt: »Das kann man nicht mit einander vergleichen, das sind zwei völlig verschiedene Bereiche«.

Patient: »Ja, das ist mir schon klar, aber das Risiko müsste doch vergleichbar sein«.

Arzt: »Nein, die Risiken kann man nicht miteinander vergleichen.«

Patient: »Komisch, ich dachte, das könnte man. Wenn ich zum Beispiel Tauchen gehe, dann ist das mit einem gewissen Risiko verbunden.«

Arzt: »Was soll das jetzt, dazu hab’ ich wirklich keine Zeit… Ich verstehe auch nicht, was Sie meinen….«

Patient: »Warten Sie. Also einer geht Tauchen und riskiert dabei nicht mehr aufzutauchen. Ein anderer geht Fallschirmspringen und riskiert, dass sich der Schirm nicht öffnet.«

Arzt: »Und? Ich muss jetzt weiter, melden Sie sich, wenn Sie sich…«

Patient: »Welches ist riskanter?«

Arzt: »Also sicher das Fallschirmspringen, beim Tauchen kann man Sie immer noch herausholen. Öffnet sich der Schirm nicht, ist es vorbei.«

Patient: »Sehen Sie, jetzt vergleichen Sie es und haben sogar eine Meinung zu den Unterschieden.«

Arzt: »In der Medizin kann man es nicht vergleichen.«

Patient: »Aber Sie haben eben die Risiken zwischen Tauchen und Fallschirmspringen verglichen!«

Arzt: »Also, jetzt reicht es mir, das geht doch zu weit. Ich habe versucht, Ihnen zu erklären, dass ein Nicht-Eingriff das Risiko mit sich bringt, eine Resterkrankung nicht zu entdecken. Die Entscheidung liegt bei Ihnen!«

Patient: »Ist der Eingriff eher das Tauchen oder das Fallschirmspringen?«

Arzt: »Nun ja, lassen Sie mich nachdenken, ich weiß darauf keine Antwort…«

Patient: »Schwierig, soll ich eher Tauchen oder Springen, oder beides vermeiden, aber das geht ja gar nicht…?«

Arzt: »Ich muss jetzt wirklich…«

Patient: »Die nicht entdeckte Krankheit, ist die so gefährlich wie Tauchen oder Fallschirm?«

Arzt: »So kommen wir nicht weiter!«

Patient: »Ich kann mich nur entschließen, wenn ich zwischen dem Risiko des Eingriffs und dem Risiko der nicht entdeckten Erkrankung entscheiden kann, und dafür geben Sie mir zu wenig Informationen und scheuen sich, eine Empfehlung auszusprechen.«

Arzt: »Natürlich ist mein Rat der Eingriff, das ist ganz eindeutig, weil ich die Gefahren abschätzen kann, wenn man nichts tut«.

Patient: »Also ist der Eingriff für Sie das Tauchen? Also weniger gefährlich?«

Arzt: »Jetzt hören Sie doch auf!«

Patient: »Warten Sie, aber gleichzeitig ist Ihre Diagnose, dass ich jetzt eigentlich gesund bin?«

Arzt: »Ja, schon, aber wie lange noch?«

Patient: »Ja, wie lange noch? Wie lange werde ich wohl noch gesund sein, wenn das irgendwer wüsste, würde ich mein Gesund-Sein verkürzen mit dem Eingriff, oder der nicht-entdeckten Krankheit……«

Arzt: »Sie sind wirklich kein einfacher Patient.«

Patient: »Moment, wir sind gleich dort. Wenn ich also jetzt gesund bin und niemand weiß, wann ich wieder krank werde, jedoch den Zeitpunkt eventuell hinausschieben könnte durch den Eingriff, wenn mich der Eingriff nicht dahin rafft, oder das Krankwerden in nicht so ferner Zukunft läge, dann sollte ich mich eigentlich für den Eingriff entscheiden, also für das Tauchen, da die Verhinderung einer nicht-entdeckten Krankheit eine gewisse Sicherheit bietet. Anders bei einem Eingriff bei einem nicht-vorhandenen Problem, das dann allerdings auch keinen Einfluss auf eine spätere Erkrankung hat, weil ja etwas verhindert wurde, was nicht da war, aber da sein hätte können und trotz nicht-vorhanden-sein das Risiko des Eingriffs mit sich bringt. Der Nicht-Eingriff ist also für Sie das Fallschirmspringen!«

Arzt: »Ich kenne mich wirklich nicht nicht mehr aus, und hab auch andere Patienten, die auf mich warten, verständigen Sie mich einfach, wofür Sie sich entschlossen haben«.

Patient: »Aber Sie können mich doch jetzt nicht mit meiner Entscheidung allein lassen. Ich brauche doch Ihren Rat!«

Arzt: »Nein, den brauchen Sie nicht…«

Patient: »Natürlich!«

Arzt: »Nein! Weil Sie sich längst entschlossen haben, den Eingriff nicht zu machen!«

Patient: »Stimmt! Aber wieso wissen Sie das?«


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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