FRAUEN ZU PURIM

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Photo credit: 1yen via Visual Hunt, CC 2.0 BY-NC-SA

Fanny, Esther und der Frauentag

Jedes Jahr im Vorfrühling, nach dem jüdischen Kalender am 14. des Monats Adar, erinnern wir uns der Errettung des jüdischen Volkes in Persien durch Esther.

2017 fiel Purim auf den 12. März, vier Tage zuvor wurde der Internationale Frauentag begangen, der eigentlich vom Kampf sozialistischer Frauen für ein weibliches Wahlrecht herrührt. Social media, allem voran Facebook, war voll von Gratulationen und Glückwünschen zu beiden Anlässen.

Mit zwei Teenagern im Haus wird bei uns so und so schon recht viel diskutiert; Verkleidungen und ob man es mag, in andere Rollen zu schlüpfen, waren aber heuer ein ganz besonders großes Gesprächsthema.

Die Geschichte von Esther

Pur (Plural Purim) heißt in der Übersetzung “das Los“, und bezieht sich in der Geschichte von Esther, der Heldin der Geschichte, auf den Tag, der durch das Los zur Vernichtung der Juden bestimmt werden sollte.

Die ‚Megillah Esther‘, die letzte der fünf überlieferten Schriftrollen der hebräischen Bibel, spielt am Hof von Achaschwerosch, dem König des Perserreiches. Er hatte seine Frau Vashti verstoßen, weil sie seinem Befehl, vor seine (betrunkenen) Gäste zu treten, nicht Folge geleistet hatte.

Also ließ er aus dem ganzen Reich schöne Jungfrauen anreisen, um als mögliche neue Gemahlin vorstellig zu werden. Seine Wahl fiel auf die schöne Esther, eine jüdische Waise, die von ihrem Onkel Mordechai adoptiert worden war.

Mordechai hatte in früherer Zeit einmal Achaschwerosch das Leben gerettet. Er war, so steht geschrieben, auch ein Mann jüdisch religiöser Prinzipien, die es untersagen, sich vor einem Menschen zu verneigen.

Haman war ein naher Vertrauter und mächtiger Gefolgsmann des persischen Königs, der mit zunehmender Machtfülle herrischer und dominanter wurde. Als dieser merkte, dass sich Mordechai nicht vor ihm bückte, erzürnte er und wollte Rache am gesamten jüdischen Volk nehmen. Er ließ durch das Los den 13. Adar zur Tötung der Juden festlegen.

Als Mordechai von den Mordplänen des Haman an seinem Volk hörte, bat er Esther, die inzwischen Königin war, um Hilfe.

Wie schon das Schicksal von Vashti zeigte, war die Machtfülle der Königin nicht gering, sondern eigentlich nicht vorhanden. So waren Esther die Hände gebunden, sie durfte nicht einmal unaufgefordert vor ihren Gemahl treten, sie musste stets auf seine Einladung warten.

So schmiedete sie einen Plan: Sie ersuchte Achaschwerosch, drei Fasttage auszurufen, danach würde sie ein Festmahl für Ihn sowie seinen Vertrauten Haman geben. Zwei Tage bewirtete sie die beiden Männer in bester Manier, wodurch ihr Achaschwerosch sehr zugetan war. In der Nacht nach dem ersten Gelage war der König schlaflos. Er lies sich aus seinen Annalen vorlesen, wodurch er sich an die Heldentat Mordechais in früheren Tagen erinnerte.

Beim zweiten Festmahl am folgenden Tag nützte Esther die Gelegenheit, den gewogenen Ehemann zu bitten, ihrem Volk zur Hilfe zu eilen, den Tag zur seiner Vernichtung auszusetzen und Haman, dem Bedrohenden, die Macht zu entziehen.

Esther war erfolgreich und so wendete sich das Schicksal der Juden durch königlichen Erlass ins Gegenteil, sie wurden nicht gerichtet, sondern vielmehr wurde Haman an Mordechais statt gehenkt, die Juden töteten seine zehn Söhne, die Nachfahren Amaleks, der als Vorfahr Hamans im Judentum für das Böse steht, und löschten damit diese Familie aus.

Und was sie mit dem Frauentag tu tun hat

In Erinnerung dieser Verkehrung des Schicksals verkleiden wir uns zu Purim, stellen quasi alles auf den Kopf, feiern ausgelassen und betrinken uns wie bei jenem Gelage, das Esther gab, um den König zur Aufhebung des Vernichtungsdekrets an den Juden zu bringen.

Mit Herannahen von Purim treten jährlich zwei Konstanten im Hause Weiss zutage:

Ich backe Hamantaschen, eine Mehlspeise, die an die Ohren Hamans erinnern soll, dabei aber wunderbar schmeckt und sich sehr raschen Absatzes erfreut. Da die Tradition auch besagt, dass man sich aus Anlass dieses Freudenfestes Geschenke machen soll, einander wie auch den Armen, d.h. man spendet, gehört es dazu, Freunden kleine Geschenkkörbe mit Mehlspeisen und Früchten, sogenannte Mischloach Manot zu bringen.

Hat man also ein paar Freunde, kommt man aus dem Backen kaum heraus. Die zweite Konstante:

Die nächste, bereits jugendlich coole Generation plant die entsprechende Verkleidung, zumeist gibt es Mottos oder Trends, als was man gehen will. Hierbei werden sich die beiden Weiss Kinder selten in Meinungsgleichklang finden, will doch einer nur allzu gern in fremde Rollen schlüpfen, während die andere jegliche Verkleidung ablehnt und gequält durch Mottoparties ist. Ich versuche da immer insofern vermittelnd einzugreifen, indem ich die Diskussion auf einen andere Ebene hebe.

Esther war/ist eine Heldin ihres Volkes. Doch war sie emanzipiert? Hat vielleicht die verstossene Vashti emanzipierter gehandelt, indem sie sich nicht spärlich bekleidet vor die betrunkenen Gäste zitieren hat lassen?

Ihr Verhalten war damals gar nicht gesellschaftskonform, hat ihr den Tod und eine schlechte Nachrede bis heute gebracht. Hat Esther im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Mittel der damaligen Zeit emanzipiert gehandelt, indem sie ihre Macht als glänzende Gastgeberin mit gutem Essen zu einem höheren Ziel gebündelt angewandt hat?

Und schon waren wir inmitten der Diskussionen um den Internationalen Frauentag: Sind Frauen eine so kohärente Gruppe, dass man sie zu einer Einheit für den Kampf gemeinsamer Rechte zusammenfassen kann?

Wir Frauen? Wo wir doch in unseren Breiten bereits wählen dürfen, in den meisten Ländern des Orients Frauen es aber nicht können?

Wo doch Gruppen von Frauen, z.B. im heutigen Iran, um bei Persien zu bleiben, vehement für ein Verschleierungsverbot kämpfen, während in hier Europa Frauen auf die Straße gehen, um für das freie Entscheidungsrecht muslimischer Frauen, sich zu verschleiern, zu demonstrieren?

Die Wogen in Fannys kleinem (Familien) Salon gingen hoch. Und plötzlich, ganz plötzlich war Esther aktuell wie nie und die Diskussion nach Verkleidungsvorlieben verhallte im Äther.

Über den Autor / die Autorin

Fanny Weiss

Fanny Weiss ist eine Gastgeberin alten Schlags. In ihrem Haus, das sie führt wie einen Salon der Jahrhundertwende, sind Gäste gern gesehen und herzlich willkommen, hier wird gut gegessen und leidenschaftlich diskutiert. Alltägliche Themen wie Kindererziehung und Familienleben werden ebenso erörtert wie Fragen der Nachhaltigkeit oder der Sinn des Lebens. Ihr Bedürfnis nach Zurückgezogenheit und Stille lebt die freischaffende Künstlerin in ihrem Atelier aus, das ihr als Versteck vor Menschen und allzu viel Gerede dient. Fanny ist verheiratet und Mutter zweier Teenager.

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