Wir leben noch

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Drei alte Freunde in Corona-Zeiten 

»Ihr wisst, dass wir das noch immer nicht dürfen?«, ruft Franz laut, kleingewachsen und rundlich am Eingang zum Stadtpark wartend, wo Erwin und Robert aus dem Auto aussteigen und ihm entgegenkommen. Franz trägt eine karierte, schottische Kappe und einen Dufflecoat, begründet das mit angeblichen, schottischen Vorfahren, über die sich Robert jedes Mal lustig macht. Immer mit den gleichen Witzen. Robert, der Sportliche der drei, kommt mit Schimütze und gefüttertem Anorak, Wanderschuhen und wasser-abweisender Kletterhose. Nur Erwin ist stadtgemäß angezogen. Groß und schlank mit streng gescheiteltem Haar trägt er Blazer und blaues Hemd, einen dunklen Kaschmirmantel und perfekt geputzte, braune Schuhe. Jeden Mittwoch gehen sie durch den Stadtpark, zu jeder Jahreszeit bei jedem Wetter. Von der Seite, wo das Hotel Intercontinental steht, bis zur Konditorei Oberlaa, trinken dort Kaffee, essen Kuchen und kehren wieder um.

»Ich versuche ja, alle Regeln einzuhalten, aber unseren Spaziergang lassen wir uns doch nicht nehmen«, sagt Erwin und seine beiden Freunde murmeln zustimmend. »Ich dürfte mit einem Familienmitglied gehen«, sagt Robert, »aber ich hab’ aber leider keines. Meine Kinder sind nicht in Wien, meine Frau tot, vielleicht sperren sie mich zu Hause ein, um mich zu retten.« Franz lacht und sagt: »Ausgerechnet wir drei Unnötigen sind die Gefährdeten!« Robert ist pensionierter Turnlehrer, war ein Herr Professor im Gymnasium, und als ehemaliger Beamter eigentlich gewohnt, Regeln einzuhalten.

»Sollen wir bis zum Café gehen, das ist doch zu!«, sagt Erwin. Er besaß eine kleine Werbeagentur und konnte mit Aufträgen der Gemeinde Wien gut leben. Vor drei Jahren, wenige Wochen nach seinem 60. Geburtstag verließ ihn seine Frau, nach 30 Jahren Ehe. Sie wollte ihm erklären, warum, jetzt auf einmal, nach so langer Zeit, doch er wollte es nicht hören, übergab die Agentur seinem Sohn, zog aus dem gemeinsamen Haus und mietete sich eine kleine Wohnung im Zentrum.

»Das Café ist gleich neben dem Bahnhof, da gibt es zumindest einen Stehkaffee«, entgegnete Franz, ein Journalist, gewohnt mit den Wichtigen des Landes per ‚Du‘ zu sein, bis die Einsparungen der Zeitung ihn in die Frühpension zwangen.

»Ein Stehkaffee?« Erwin seufzt und fährt fort: »Irgendwie symbolisch, dieser Stehkaffee.« Sie gehen den Weg nach rechts und kommen zum Johann-Strauß-Denkmal. »Nicht ein Chinese heute hier, der uns bittet, von ihm ein Foto zu machen«, sagt Robert. Sie stehen allein vor der vergoldeten Statue und Robert sagt: »Jetzt kann ich mir wenigstens in Ruhe die nackten Frauen auf dem Denkmal ansehen.« Sie lachen alle drei.

»Gestern hat bei mir ein junger Mann angeläutet«, erzählt Erwin, »er fragte, was ich vom Supermarkt brauch’ und meinte, ich sollte nicht mehr einkaufen gehen, besser ihm eine Liste geben, er würde alles zustellen.«

»Und? Machst du es?«, möchte Robert wissen. »Warum, gehst du noch selber einkaufen?«, fragt ihn Erwin. »Na sicher, das lass’ ich mir nicht nehmen, der Billa ist mein Vergnügungstempel«, antwortet Robert. »Eben«, sagt Erwin, »das hab’ ich ihm auch geantwortet.« Sie lachen wieder. »Am besten wären wir geschützt, wenn sie uns jetzt schon eingraben«, sagt Franz.

Plötzlich stehen zwei Polizisten vor ihnen. Einer fordert sie auf, ihre Ausweise zu zeigen.

»Ausweis? Habt’s ihr einen Ausweis mit?«, fragt Robert und die beiden anderen schütteln die Köpfe.

»Herr Inspektor, meine Rosi wartet schon!«, sagt Erwin plötzlich, doch Robert drängt ihn zur Seite und sagt: »Hören sie nicht auf ihn, wir führen ihn einmal die Woche raus an die frische Luft, aber er ist halt…na ja, sie wissen schon…«

»Was heißt rausführen, das geht doch nicht, es ist Ausgehverbot, außer mit dem Lebenspartner«, er- mahnt ihn der andere Polizist. »Ja, aber wir beide leben ja zusammen«, sagt Franz, tritt einen Schritt nach vor und zeigt auf Robert, »der Robert und ich sind ein Paar!«

»Wer sind das Paar?«, fragt der eine der Polizisten und der andere hat plötzlich einen Schreibblock und Bleistift in der Hand. »Pah, ein Paar! Wir sind eben kein Paar!«, sagt Robert erbost, »von wegen Lebenspartner, du bist ins Gästezimmer gezogen!« Die beiden Polizisten sehen einander an und einer zuckt mit den Achseln.

»Jetzt sei doch nicht so, nicht vor dem Inspektor!«, sagt Franz.

»Also, leben sie beide zusammen?« Der eine Polizist deutet auf Robert und auf Franz. »Eben nicht!«, sagt Robert. Doch Franz unterbricht ihn: »Jetzt hör doch auf, wir machen uns lächerlich!« Und Erwin fällt ihnen ins Wort und sagt: »Meine Rosi wartet, wir müssen gehen, meine Rosi wartet!«

»So fängt es an, zuerst ins Gästezimmer und dann ganz ausziehen, nicht wahr Herr Inspektor, so fangt es doch immer an?«, sagt Robert und tritt nahe an den Polizisten. Der tritt einen Schritt zurück und fährt ihn an:

»So halten sie doch Abstand!«

»Ich wäre nie ins Gästezimmer gezogen, aber, nun ja, du riechst plötzlich so komisch!«, sagt Franz, und Robert schreit zurück: »Pah! Riechen! Stinken meinst du wahrscheinlich! Du müsstest dich selber riechen!« Und Erwin wiederholt: »Die Rosi wartet, jetzt gemma doch endlich!«

»Das müssen sie beweisen, das mit dem gemeinsamen Haushalt«, sagt der Polizist mit dem Schreibblock und Robert sagt zu Franz: »Na, jetzt werden wir sehen, wie du das beweisen kannst, im Gästezimmer!«

»Jetzt reicht es! Wo wohnen sie denn?«, fragt der andere Polizist.

»Ich wohne nicht mit dem da!«, sagt Robert, »ich hab’ nur mehr dieselbe Adresse!« Und Erwin wird lauter:

»Die Rosi wartet, die Rosi wartet!«

»Was für eine Rosi, was will denn der immer mit seiner Rosi?«, fragt der Polizist, der alles aufschreiben möchte, und unruhig wird. »Er glaubt, seine Rosi wartet im Café Oberlaa«, sagt Franz. »Aber es ist doch alles geschlossen!«, sagt der Polizist. »Dort wartet auch keine Rosi, wenn es offen ist…,« antwortet Franz und tippt leicht auf die Stirn.

»Herr Inspektor«, sagt Robert plötzlich, »nehmen’s den fest, den Herrn da, der wohnt in derselben Wohnung, aber nicht mit mir zusammen, der darf gar nicht hier sein!« Franz zieht ihn am Arm zurück und sagt:

»Robert, es reicht, wenn du unbedingt willst, zieh ich zurück ins Schlafzimmer, aber hör bitte auf, und kauf dir so ein Spray, ein Deodorant, oder wie das heißt!«

»Wirklich!« Robert umarmt ihn und sagt zu den beiden Polizisten: »Wir sind doch ein Paar, Herr Inspektor.« »Sie gehen mir langsam auf die Nerven, alle drei«, sagte der Polizist ohne Schreibblock, »aber was ist mit dem Dritten, der kann nicht einfach mit ihnen mitgehen.« Franz nimmt Erwin am Arm und schiebt ihn vor den Polizisten und sagt: »Erwin, der Herr Inspektor, der nimmt dich heute zur Rosi.«

»Danke, die Rosi wartet, sie wartet schon«, sagt Erwin und lächelt die beiden Polizisten an. »Dafür sind wir nicht zuständig«, sagt der Polizist mit dem Schreibblock, den er in seine Jackentasche steckt. »Erwin, es geht leider doch nicht«, sagt Robert, »wir nehmen dich mit zur Rosi.« Erwin schüttelt den Kopf und sagt: »Ich will mit dem Inspektor gehen, die Rosi wartet, die Rosi wartet.«

»Jetzt nehmen sie ihn doch schon, bitte, und gehen sie einfach weiter!«, sagt der eine der beiden Polizisten mit fast schon weinerlicher Stimme.

»Ich dachte, wir fahren jetzt mit Blaulicht zu uns, und sie überprüfen alles…?«, fragt Robert, und Erwin ruft: ‚Trarah, trarah, trarah…!« Und Franz fällt ihm ins Wort: »Wir zeigen ihnen die Wohnung, Herr Inspektion und sie bekommen auch einen Kaffee!«

»Aufhören! Es reicht! Wir lassen es noch einmal durchgehen…ausnahmsweise…aber nicht vergessen, Abstand halten!«, sagt der Polizist mit dem Schreibblock in der Tasche und gibt seinem Kollegen ein Zeichen.

»Na bitte, das war noch einfacher als letzte Woche«, sagt Robert als die beiden Polizisten weit genug weg waren, und Franz und Erwin nicken zufrieden. Sie gehen ein paar Schritte, bis Erwin plötzlich stehen bleibt und sagt: »Nächste Woche ist einer von euch der Idiot!«

Zuerst erschienen in NEWS. 


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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