WER IST SATOSHI NAKAMOTO?

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Der digitale Bürgerrechtler

Der Vater des Liberalismus, John Locke, definierte Eigentum einst als menschliches Grundrecht, das jedem Menschen qua Geburt grundsätzlich zustehe, und das nicht nur Königen und Kaisern zugebilligt werden dürfe. Betrachtet man in strenger Konsequenz den menschlichen Körper als höchstes Eigentum des Individuums, über das niemand sonst Gewalthoheit ausüben darf als man selbst, dann wird daraus die wohl rationalste Begründung für die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, die man sich vorstellen kann.

Die räumliche und physische Aura um den menschlichen Körper nennt man seit der Neuzeit Privatsphäre. Und Satoshi Nakamoto ist ihr moderner Beschützer, ihr digitaler Paladin, der am 9. März 1993 das Licht der Welt erblickte.

Die digitale Vorzeit

Im Leben des modernen Menschen findet das Tun und Handeln nicht bloß in seiner physischen Existenz statt. Vielmehr bewegt sich der moderne Mensch zugleich in einer Art Paralleluniversum, sei es am computerisierten Arbeitsplatz, zu Hause auf dem Sofa beim Binge-Watching oder beim Telefonieren mit WhatsApp. Dort agiert er nicht physisch, also körperlich, sondern ausschließlich körperlos mithilfe seiner geistigen Taten und Entscheidungen. Ein allgegenwärtiges Bewusstsein für diese unsichtbare Doppelexistenz existiert auch heute noch nicht, und doch kämpfen schon seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts digitale Bürgerrechtler gegen die Ignoranz gegenüber den Grundrechten im “Netz”.

In den 1970er Jahren trat ein Bewusstseinswandel ein. Bis dahin standen Informationen, die auf Großrechnern gespeichert wurden, fast ausschließlich im Besitz von Militärs, Universitäten oder Konzernen. Datenschutz existierte noch nicht. Diese Sichtweise änderte sich grundlegend, als das Geheimpapier des so genannten ‚Data Encryption Standard‘ der US-Regierung an die Öffentlichkeit gelangte.

In diesem Papier wurde klar, dass sich staatliche militärische Stellen mit der zunehmenden Vernetzung und dem Anwachsen sensibler, privater Daten eine Art exklusiver Nutzungsrechte an diesen einräumen wollten: Datenschutz sollte zwar mit digitalen Verschlüsselungsverfahren sichergestellt werden, allerdings ausschließlich unter Aufsicht der Militärs.

Die Rebellen des Cypherpunks

Es dauerte gut weitere 10 Jahre, bis in den 1980er Jahren die Personal Computer in die privaten Haushalte Einzug hielten, und mit ihnen die Vorläufer des heutigen Internets. Bereits in den 1980ern waren Millionen Computer, angefangen beim Heimcomputer Commodore 64 bis hin zum Apple-Schmuckstück, über das Telefonnetz miteinander verbunden – vor allem in den USA, aufgrund der dortigen Nullkosten bei Ortsgesprächen, über welche die Computer miteinander kommunizierten.

In diesen Jahren begann sich ein neues Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass jeder Mensch digitale Fuß- und Fingerabdrücke im Netz hinterlässt. Erstmals zog die Gepflogenheit ein, Kreditkartendaten, Privatadressen und vieles mehr online zu hinterlegen. Alles Dinge, welche die eigene Privatsphäre betreffen, also zum persönlichen Eigentum gehören, auf deren Schutz jedoch niemand achtete.

Dieser leichtfertige Umgang mit persönlichem Eigentum, bei gleichzeitiger kryptographischer Aufrüstung des Militärs, verklang nicht unerhört. Doch es dauerte bis 1987, als der Berkeley-Absolvent und Kryptographie-Experte David Chaum sein Manifest ‚Security without Identification Card Computers to make Big Brother Obsolete‘ veröffentlichte und damit einen Pflock in die öffentliche Debatte einschlug. Die Veröffentlichung seines Aufsatzes veränderte alles, denn um dieses Manifest formierten sich immer mehr Programmierer und Kryptographie-Experten. Diese Ansammlung „digitaler Bürgerrechtler“ in der San Francisco Bay Area sollte später unter der Bezeichnung Cypherpunks (© Jude Milhon) in die Geschichte eingehen.

Das Cypherpunk-Manifest und der erste „Crypto War“

„Privatsphäre ist notwendig für eine offene Gesellschaft im Zeitalter der Elektronik. Privatsphäre ist nicht Heimlichtuerei. … Privatsphäre ist die Macht, sich selektiv der Welt zu offenbaren.“ (A Cypherpunk’s Manifesto)

Ende der 1980er Jahre brach schließlich der erste so genannte Crypto War aus. Gegenüber standen einander auf der einen Seite des digitalen Schlachtfeldes die Cypherpunks, auf der anderen de facto das US-Militär. Es ging um die Entscheidung, ob der Schutz von Daten durch Verschlüsselung ein exklusives Recht des Staates ist, oder ob diese Art von Datenschutz ein Recht ist, dass jedem Bürger zugestanden werden muss.

Die US-Behörden verlangten, dass für zivile Anwendungen nur einfach zu entschlüsselnde Protokolle unterhalb von 40-Bit (je höher diese Zahl, desto sicherer die Verschlüsselung) verwendet werden dürfen. Echte Verschlüsselung hätte es damit nur für das Militär gegeben. Zusätzlich bestand die NSA darauf, dass in jede Verschlüsselungsmethode ein so genannter “Clipper Chip” integriert werden müsse – nichts anderes als der Schlüssel zu einer Hintertür, zu der die NSA jederzeit Zutritt gehabt hätte.

Doch daraus wurde nichts. Die Gerichte entschieden für die Cypherpunks rund um Matt Blaze, David Chaum und Eric Hughes. Der erste Crypto War endete mit einem klaren Sieg der Datenschützer.

Der zweite Crypto War

Erfolge ziehen weitere Erfolge nach sich. Kluge Menschen ziehen weitere kluge Köpfe an. Nachdem Eric Hughes 1992-93 das Cypherpunk Manifest formuliert hatte, beschloss man, sich in der legendären ‚Cypherpunk Mailing List‘ standesgemäß zusammenzuschließen. Eine Art von informellem Überbau, der gegenseitigen Austausch und eine gewisse Geschlossenheit garantierte. Zu den bekanntesten Cypherpunks dieser Mailingliste zählen:

Jacob Appelbaum (Tor-Erfinder), Julian Assange (WikiLeaks), Bram Cohen (BitTorrent-Erfinder, P2P), Hal Finney und Philip Zimmermann (Autoren des PGP-Emailverschlüsselungsstandards), Tim Hudson (Co-Autor von SSLeay, des Vorläufers der Webseitenverschlüsselung OpenSSL); Paul Kocher (SSL 3.0), Moxie Marlinspike (Open Whisper Systems – Signal und WhatsApp-Verschlüsselung), sowie – für unsere Suche nach der Identität des Bitcoin-Erfinders Satoshi Nakamotos nicht ganz unwichtig – Adam Back (Bitcoin-Vorgänger Hashcash und Gründer von Blockstream) und Zookoo Wilcox-O’Hearn (Erfinder des Bitcoin-Vorgängers Digicash und Gründer von Zcash).

Edward Snowden enthüllte, dass die US-Behörden nach ihrer Niederlage im ersten Crypto War einen neuen vom Zaun gebrochen hatten. In diesem zweiten Krieg wurde das gesamte Internet in zentralen Datenzentren „zwischengespeichert“, wo es mit Supercomputern entschlüsselt werden konnte. Ein unmittelbarer, digitaler Angriff auf die Würde der Bürger, die damit ihrer Privatsphäre beraubt und in eine entmündigte Zeit vor der Aufklärung und John Locke zurückgeworfen wurden. Nach dem zweiten Crypto War stand es zwischen Staat und Cypherpunks 1:1.

Satoshi Nakamoto und der dritte Crypto War

Kryptographie ist ein ständiges Wettrennen der Technologien. Heute ist die 256-Bit-Verschlüsselung am weitesten verbreitet. Doch was kommt morgen?

Spätestens hier betritt Satoshi Nakamoto 2009 die Weltbühne. Vor seiner so genannten Blockchain-Technologie kannte man Verschlüsselung und Peer-to-Peer-Server nur als zwei getrennte Technologien. Nakamoto brachte erstmals beide zusammen. Dadurch wurde es möglich, digitale Werte (so genannte „Hash-Werte“) zu schaffen, die dezentral errechnet und auch gespeichert werden.

Statt „dezentral“ könnte man auch „individuell“ sagen. Die Blockchain gibt dem machtlos gewordenen Untertanen die Rolle des mündigen ‚Digital Citizens‘ zurück, der mit ihr wieder Eigentümer seiner persönlichen Daten wird. Dieser Bürger hält nun wieder selbst den Schlüssel in der Hand, der entscheidet, wer auf seine Daten Zugriff hat, und wer nicht. Dieser Schlüssel wird in der Fachsprache “Private-Key” genannt.

Die Technologie hat den Praxistest bereits bestanden. Mit dem ‚Open Bitcoin Privacy Project‘, dem die Bitcoin-Währung entstammt, die wiederum auf der Blockchain-Technologie basiert, können private Initiativen wie WikiLeaks & Co auch dann finanziert werden, wenn sie vom herkömmlichen Bankwesen ausgeschlossen worden sind.

Im dritten Crypto War steht es nun wohl 2:1 für die Cypherpunks – was die kritische und aggressive Haltung vieler Staaten gegenüber Bitcoin und anderen Kryptowährungen erklärt. Die erfreuliche Ausnahme: Japan.

Satoshi Nakamoto, der oberste Cypherpunk

„There is no fucking king! There is no glorious leader! … Yeah, I am here to kill off Satoshi. Not in the way that you want. Because there is no great leader standing above. It will be a battle of the best ideas. The best solutions. Not because you think it be the best, or I think. No. Because the (private) market does. And the market votes with their dollars. And eventually the market is going to vote with their bloody bitcoins!” (Craig Wright)

Viele Experten halten Craig Wright für die Person hinter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto. Diese Experten haben recht, aber anders als sie denken. Denn jeder Kryptoanarchist, der in der Tradition der Cypherpunks steht, darf sich als Satoshi Nakamoto bezeichnen.

Satoshi Nakamoto steht als Chiffre für den digitalen, anonymen Bürgerrechtler. Und so gesehen ist auch Craig Wright ein Satoshi Nakamoto. Einer von unzähligen, einer von abertausenden dort draußen im digitalen Paralleluniversum, in dem wir alle jeden Tag ein- und ausgehen, ohne uns dessen bewusst zu sein.

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Über den Autor / die Autorin

Otto Laber

Otto Laber leitete zehn Jahre lang als Techniker das Mozart-Kino in Salzburg und arbeitete danach bei der zweitgrößten Buchhandelskette Österreichs im Online Marketing. Nebenbei war er in den letzten zehn Jahren selbstständig für den einen oder anderen Buchverlag tätig.

Von Otto Laber