Wer erschoss die palästinensische Journalistin Shireen Abu Akleh?

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Propagandagemälde der getöteten Journalistin Shireen Abu Akleh in Gaza (© Imago Images / ZUMA Wire) 

Für viele Palästinenser war sie ihre Stimme und ihr Gesicht in der arabischen Welt: Shireen Abu Akleh starb in Jenin an einem Kopfschuss. Nach ihrem Tod wird die Journalistin zum Propagandawerkzeug.

Journalisten dürfen niemals das Ziel von Angriffen sein. Ihr Schutz ist ein Kernelement von Pressefreiheit und international geltendes Recht. Dennoch werden jedes Jahr Dutzende von Journalisten in verschiedenen Konfliktgebieten getötet.

Der Tod jedes einzelnen von ihnen verdiente alle Aufmerksamkeit der Welt. Und doch sind es nur ganz wenige Fälle, die ans Licht der Öffentlichkeit gelangen. Shireen Abu Aklehs Tod ist einer davon, allerdings aus einem weniger lauteren Motiv als dem Schutz der Pressefreiheit: er wurde von der ersten Stunde an politisch instrumentalisiert und propagandistisch missbraucht.

Die Fakten

Nachdem in den letzten eineinhalb Monaten neunzehn Israelis bei Terroranschlägen getötet worden sind, führen die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) Razzien in der Westbank durch, um Attentäter und deren Komplizen zu verhaften. So auch am Morgen des 11. Mai.

Während eines dieser Einsätze wurde Abu Akleh von einer Kugel tödlich in den Kopf getroffen. Sie trug einen Helm und eine Splitterschutzweste und war eindeutig als Journalistin identifizierbar. Eine andere Kugel verletzte ihren Kollegen, Ali Samoudi, am Rücken.

Truppen der Spezialeinheit »Duvdevan« der IDF waren zu diesem Zeitpunkt etwa 150 Meter von Abu Akleh entfernt. Die Munition, mit der Abu Akleh getötet wurde, wird sowohl von Palästinensern als auch von israelischen Einheiten genutzt.

Was wir nicht wissen: Ob die tödliche Kugel aus dem Gewehr eines Palästinensers oder eines israelischen Soldaten abgefeuert worden ist. Der Direktor des palästinensischen Instituts für Gerichtsmedizin, Dr. Rayyan al Ali, sagte im israelischen Fernsehsender Kanal 12:

»Es kann nicht festgestellt werden, ob [die Al Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh] durch israelisches Feuer oder durch eine palästinensische Kugel getötet wurde.«

Dr. Rayyan al Ali

Israel hält Letzteres für wahrscheinlich. Der Leiter des Kommandos, Generalmajor Yehuda Fuchs, sagte am Mittwochabend gegenüber Kanal 12, dass die IDF nur einige Dutzend Mal auf konkrete Ziele geschossen habe, während von palästinensischen Angreifern während der Feuergefechte Tausende Kugeln abgefeuert worden seien.

Auf Twitter wurden Videos geteilt, in denen bewaffnete Palästinenser rufen, ein israelischer Soldat sei zu Boden gegangen – auf israelischer Seite wurde aber niemand verletzt. War der vermeintliche Soldat die Journalistin? Demgegenüber behauptet Samoudi, der für die in Jerusalem erscheinende Quds-Zeitung arbeitet, dass es im Gebiet des Tatorts keine »Widerstandskämpfer« gegeben habe: »Wir waren allein in dem Gebiet.«

Auf der Suche nach der Wahrheit?

Wir wissen zwar nicht, wer Abu Akleh erschossen hat, aber wir wissen, wer sich bemüht, das herauszufinden. Und wer nicht.

Israel hat den Palästinensern umgehend eine gemeinsame pathologische Untersuchung angeboten. »Journalisten müssen in Konfliktgebieten geschützt werden, und wir alle haben die Verantwortung, die Wahrheit herauszufinden«, erklärte Außenminister Jair Lapid. Israel will Transparenz: während die IDF normalerweise ihre eigenen Untersuchungen durchführt, will sie in diesem Fall mit palästinensischen Pathologen zusammenarbeiten, um den Vorwurf der Voreingenommenheit zu vermeiden. 

Dazu wird es wohl nicht kommen. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) lehnt bislang jede Zusammenarbeit ab. Hussein al-Sheikh, Leiter der Allgemeinen Behörde für zivile Angelegenheiten, twitterte am Donnerstagmorgen:

»Israel hat eine gemeinsame Untersuchung gefordert, sowie die Aushändigung der Kugel, mit der die Journalistin Shireen ermordet wurde. Wir haben dies abgelehnt und bekräftigt, dass unsere Untersuchung unabhängig durchgeführt wird, und wir werden ihre Familie, die #USA, #Katar und alle offiziellen Behörden und die Öffentlichkeit mit großer Transparenz über die Ergebnisse der Ermittlungen informieren. Alle Indizien, Beweise und Zeugen bestätigen ihre Ermordung durch #Israels Spezialeinheiten.«

Hussein al-Sheikh

Ein Statement von bemerkenswerter Offenheit. Das Ergebnis dieser »unabhängigen Untersuchung« steht bereits fest, bevor sie überhaupt begonnen hat: Israel hat Abu Akleh ermordet.

Propaganda

Dass die Journalistin von israelischen Truppen ermordet worden sei, ist in doppelter Hinsicht falsch: Zum einen weiß niemand, durch wessen Kugel sie starb – und es ist die PA selbst, die die Aufklärung verhindert –, zum anderen ist sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht ermordet worden.

Für die Palästinenser gab es keinen Grund, sie absichtlich zu töten, und für die IDF genauso wenig. Wer sich auch nur ein klein wenig mit den Einsätzen der IDF befasst und den Aufwand kennt, den die israelische Armee betreibt, um zivile Opfer zu vermeiden, kann nicht ernsthaft davon ausgehen, ein israelischer Soldat würde absichtlich auf Journalisten schießen.

Abu Aklehs Tod ist tragisch, dessen propagandistische Ausschlachtung ist widerlich. Wo gehetzt wird statt aufgeklärt, hat die Wahrheit ihr Recht verloren.

In diesem Zusammenhang kommt man nicht umhin, auch die Glaubwürdigkeit von Quellen und Zeugen einzuordnen. So äußerte sich der renommierte Historiker Jonathan Spyer auf Facebook gleichermaßen treffend wie unmissverständlich zu Al-Jazeera:

»Ich möchte jedoch anmerken, dass al-Jazeera kein Nachrichtensender ist, sondern vielmehr der Propaganda-Arm eines Sklavenstaates, dessen Output die Verherrlichung von Kindermördern und die Leugnung des Holocausts umfasst. Es gibt keinen Grund, diese Tatsachen zu verschleiern, wenn man sein Bedauern über den Tod von Shireen Abu Akleh zum Ausdruck bringt, unabhängig davon, wer sie getötet hat.«

Jonathan Spyer

Die Westbank ist keine Demokratie, palästinensische Medien arbeiten innerhalb des vom Regime gesteckten Rahmens. Wie in jeder Diktatur verschwimmen die Grenzen zwischen Berichterstattung und Propaganda. Schon aus Selbstschutz ist man der eigenen Regierung oft mehr verpflichtet als der Wahrheit. Und jeder, der sich mit palästinensischer Medienarbeit befasst, weiß, dass Zeugen für die jeweils gewünschte Sicht auf die Ereignisse in ähnlich beliebiger Zahl produziert werden können wie in Mafia-Prozessen.

Diese Umstände diskreditieren palästinensische Zeugenaussagen nicht von vornherein. Aber man muss sie prüfen, bevor man sie sich zu eigen macht und verbreitet. Ein Publikum, das mit den Verhältnissen vor Ort nicht vertraut ist, ist darauf angewiesen, dass die Berichterstattung den Hintergrund erklärt, vor dem solche Aussagen stehen. 

Wer hingegen die palästinensischen Behauptungen vorbehaltlos verbreitet, ist ebenso wenig an der Wahrheit interessiert wie die Autonomiebehörde selbst, sondern streut einfach nur deren Propaganda.

Warum Abu Akleh wirklich starb

In der Westbank wird die Ermordung von Israelis regelmäßig mit dem Verteilen von Süßigkeiten gefeiert. Terroristen werden als Märtyrer verehrt, die Autonomiebehörde zahlt Renten an die Angehörigen. In diesem Milieu schwimmt ein Terrorist im Volk wie ein Fisch im Wasser, um ein geflügeltes Wort von Mao Zedong etwas abzuwandeln.

Die Ermordung von Israelis lohnt sich gesellschaftlich und finanziell. Die Autonomiebehörde liefert Terroristen und ihre Komplizen nicht der Strafverfolgung aus – sie deckt die Mörder, anstatt sie zu verfolgen. Nur deswegen waren israelische Einsatzkräfte überhaupt vor Ort. Nur deswegen können in einer der größten und wichtigsten Städte der Westbank schwer bewaffnete Palästinenser wild um sich schießen.

Wer auch immer die Kugel abgefeuert haben mag: Letztlich starb Abu Akleh, weil die Palästinensische Autonomiebehörde den Terror gegen Israel fördert, statt ihn zu bekämpfen.

Zuerst veröffentlicht auf MENA-WATCH.


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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.