WAS IM LEBEN WIRKLICH ZÄHLT

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Die Welt von Poldi und Heinzi

»Jetzt ham‘ ma also eine neue Regierung.«

Poldi Huber sitzt in seinem Stammcafé an einem runden Marmortisch und hält die Zeitung mit dem Titelblatt vor sich, etwas weggestreckt, obwohl die Schrift mit der Ankündigung der Einigung zwischen Grün und Türkis diesmal deutlich größer ist als sonst.

Neben ihm, an der rechten Seite sein Freund Heinzi Pospisil, der eine andere Zeitung liest, die auf dem Tisch mit der vorletzten Seite aufgeschlagen liegt. Er studiert die Sportereignisse.

»Wir gewinnen überhaupt nichts mehr. Ned amoi beim Schifahren«, sagte er leise mehr zu sich selbst und reagiert nicht auf die Ankündigung seines Freundes Poldi.

»Jetzt haben wir grün mit schwarz, eine komische Mischung« Poldi legt die Zeitung auf den Tisch und  Heinzi schiebt sie etwas weg, da sie eine halbe Seite seines Sportberichts verdeckt und sagt: »Hearst, ich kann doch nichts sehen!«

»Und? Du hast gar keine Meinung dazu, alter Roter!« Poldi lacht und schiebt seine Zeitung zurück über die aufgeschlagenen Blätter vor seinem Freund Heinzi.

Heinzi hebt langsam den Kopf, und seine müden Augen wandern über den Kopf des Freundes. Dann zieht er seine Zeitung unter der des Freundes hervor, faltete sie zusammen und legt sie auf den leeren Sessel neben sich.

»Weißt du, was schwarz und grün ergibt, wenn du es zusammen mischt?« Fragt er jetzt Poldi.

»No ja, was schon, eine Koalition«, antwortet Poldi und legt seine Zeitung auch auf den Sessel.

Der Ober kommt und fragt: »Meine Herren, brauch ma noch etwas? Vielleicht ein frisches Glas Wasser?«

»Max, gut dass sie hier sind, ich hätte eine Frage, sie stehen doch hier den ganzen Tag herum und hören, was die Leute so reden. Wie ist denn die Stimmung gegenüber der neuen Regierung?« Wendet sich Heinzi an den Ober, der einen Schritt zurückweicht und mit der Hand plötzlich in der Luft fuchtelt und sagt: »Na, bitte nicht mich fragen, ich bin nur für den Kaffee zuständig. Herr Pospisil, in aller Ehren, ich schätze sie als Gast und vor allem ihr Trinkgeld, aber bitte, für Politik bin ich nicht zuständig!«

Doch Heinzi lässt nicht locker und fragt: »Na gut, ich frag anders. Wenn sie einen Topf schwarze Farbe haben und sie geben ein bisschen grün dazu, wie verändert sich die Farbe?«

Der Ober Max kratzt sich am Hinterkopf, von wo ein paar lange, graue Strähnen nach vor gekämmt sind, um die Glatze zumindest teilweise zu verdecken.

»Eigentlich«, sagt der Ober dann langsam, »eigentlich wird sich nix ändern, es bleibt schwarz, vielleicht ein bisschen grau?«

»Na bitte!« Heinzi knallt mit der Hand auf den Marmortisch und sieht Poldi triumphierend an und sagt: »Der Max muss dir Politik erklären. Diese Regierung ist einfach eine schwarze Regierung, egal, ob da grün dabei ist oder nicht!«

»Moment, Moment, warten sie doch, Herr Max!« Ersucht Poldi den Ober und fährt fort: »Sagen wir mal, die Farben mischen sich nicht, und sie tropfen einen Becher mit Grün in einen Topf mit schwarzer Farbe. Was passiert dann?«

»Na ja, dann wird halt in dem Topf immer wieder ein Punkt grün zu sehen sein«, antwortet Max mit einem Gesicht, als hätte man ihn gezwungen eine Scheibe Zitrone zu essen, geht noch einen Schritt zurück und sagt schnell, er müsse jetzt leider weiterarbeiten, die anderen Gäste würden sonst ungeduldig werden.

»Was für andere Gäste? Ich sehe da niemand außer uns beiden alten Deppen, die noch immer hier regelmäßig herkommen, obwohl der Kaffee immer dünner wird!« Sagt Poldi, und Heinzi lacht auf, doch Poldi ist schnell wieder beider Sache und sagt: »Na bitte, da hast du deine Antwort! Es gibt auch eine Mischung, wo jede Farbe erkennbar bleibt!«

»Geh, geh, geh, red‘ doch nicht herum, das wird eine schwarze Regierung, mit oder ohne grüne Tupfen.« Heinzi schüttelt den Kopf und nimmt einen Schluck Kaffee und sagt: »Der ist grauslich und kalt!« Und ruft dem Ober zu: »Max, noch an großen Braunen!«

Heinzi Pospisil ist seit zehn Jahren pensioniert, arbeitete sein Leben lang bei der ÖBB und ist immer noch Mitglied der SPÖ. Er war für die Schranken in Niederösterreich zuständig und erzählt nach zwei oder drei Gläsern Wein gerne von der Modernisierung gewisser Bahnübergänge, die er durchgesetzt hätte, um sie sicherer zu machen, gegen die Widerstand der Direktion. Poldi Huber arbeitete bei der Gemeinde Wien in der Straßenverwaltung und schaffte es trotz seiner Mitgliedschaft bei der ÖVP bis zum Abteilungsleiter. Auch er genießt seine Pension seit etlichen Jahren. 

Sie sitzen jeden Morgen ab zehn Uhr im Café, haben ihre Frauen verloren, sind beide übergewichtig, atmen schwer und langsam, und Poldi trägt einen Herzschrittmacher. Für den Kaffeehausbesuch tragen beide Sakko und Krawatte, das muss so sein, wenn man ausgeht, anders könnten sie es sich nicht vorstellen, auch wenn auf Heinzis Hemd gleich neben dem dritten Knopf von oben noch der Kaffeefleck von gestern zu sehen ist. Poldi erwischt manchmal die falsche Hose von den drei Anzügen, die er noch hat, doch das fällt niemandem auf, den die beiden fallen ohnehin niemandem mehr auf. 

Letzte Woche brachte Poldi alle seine Anzugshosen zum Änderungsschneider, ein Türke in seiner Straße, der ihn allerdings warnte, es sei hinten kein Stoff mehr übrig, um die Hosen weiter zu machen, und er müsse ein Stück einsetzen, könne jedoch nicht garantieren, dass es haargenau die gleiche Farbe sei. Doch Poldi meinte, das sei völlig egal, würde eh keiner sehen. Für Heinzi ist das alles kein Problem, denn er hat nur mehr ein Sakko und eine Hose dazu, die eigentlich farblich nicht dazu passt, aber auch das stört ihn nicht. Geld hätten beide genügend, um sich neue Anzüge zu kaufen, doch wozu, fürs Kaffeehaus?

Der Ober Max kommt langsam zurück und stellt die Tasse Kaffee auf den Marmortisch. »Danke Max, auf dich kann man sich wenigstens noch verlassen«, sagt Heinzi und wirft ein Stück Zucker in die Tasse.

Max steht noch neben den beiden und fährt sich nervös über die Stirn, bis er leise, fast stotternd sagt: »Herr Pospilsil, Herr Huber, ich hab leider schlechte Nachrichten.« Dann schweigt er.

»Na was denn, spucken’s es doch aus!« Sagt Poldi.

»Naja, jetzt haben wir den 15., und am Ende des Monats wird das Café geschlossen«, sagt Max und blickt fast sich schämend auf seine Schuhe.

»Was!« Rufen die beiden Männer fast gleichzeitig.

»Ja, die Chefin hat ein gutes Angebot bekommen, und es kommt ja ohnehin fast keiner mehr«, sagt Max, immer noch zu Boden blickend, dann dreht er sich um und geht langsam weg, flüstert immer wieder »tut mir leid«, obwohl es keiner hören kann.

Die beiden Männer sitzen schweigend da und rühren sich nicht. Ähnliche Gedanken wandern durch ihre Köpfe. Wo jetzt hingehen am Vormittag, wo sich treffen, wo Zeitungen lesen.

»Und wir streiten wegen grün und türkis, dabei nimmt man uns unser Café weg«, sagt Poldi plötzlich. Heinzi nickt nur, und sagt dann: »Ist mir doch scheißegal, wer in der Regierung sitzt!«

»Mir eigentlich auch«, sagt Poldi.

»Also, jetzt reicht‘s mir, ich trete morgen aus der Partei aus«, sagt Heinzi, und Poldi stimmt ihm sofort zu, auch er werde austreten.

»Mir san jetzt beide unabhängig«, sagt Poldi und lacht plötzlich. Der Heinzi grinst ihn an und sagt: »Ab heute ist uns einfach alles egal und wir reden nie wieder über Politik. Wenn die uns unser Café wegnehmen, sollen sie uns am Arsch lecken!«

Poldi lacht auf und sagt laut: »Genau, ihr könnt uns alle!« Er dreht sich um im Café, aber es ist keiner da, der ihn hören könnte.

Heinzi beginnt zu husten, er hält sich ein Taschentuch vor dem Mund. Poldi sieht ihn mit unruhigen Augen an und fragt ihn, wie lange er schon diesen Husten habe. Hansi winkt ab und antwortet nicht. Langsam beruhigt er sich, steckt das Taschentuch in seine Jackentasche und sagt: »Bei mir in der Straße hat eine neue Bäckerei aufgemacht, mit Tischen, und die servieren auch Kaffee. Dort gehen wir hin ab morgen!«

»Sehr gut«, antwortet Poldi.

Sie stehen beide langsam auf und gehen zu dem runden Kleiderständer, wo ihre Mäntel hängen. Der Ober Max hilft ihnen und flüstert immer noch, dass es ihm leid tue.

»Ist ja gut, kannst ja nix dafür«, sagt Poldi zu ihm, und sie gehen zum Ausgang, dort drehen sie sich beide um und schauen in das Café.

»Übrigens«, sagt Poldi plötzlich zum Ober, »sagen’s der Frau Chefin, sie soll uns am Arsch lecken!« Er lacht, und Heinzi kichert und sagt zu Max: »Und der Kurz und der Kogler können uns auch! Wir kümmern uns nicht mehr, sollen die beiden doch machen, was sie wollen, was geht‘s uns noch an!«

Poldi sagt nur mehr laut »genau«, und dann verlassen beide das Kaffeehaus.


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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