VIER KÖPFE, ACHT MEINUNGEN

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Eine Regierung und viele Meinungen

Im Hause Weiss geht es seit jeher politisch zu. Es wird viel diskutiert, verschiedene Blickwinkel werden durchleuchtet, Pläne evaluiert. Unsere vierköpfige Familie kann im Eifer einer politischen Diskussion durchaus auf sechs bis acht Meinungen kommen. Sind an Freitagabenden noch weitere Mitglieder der – wie es bei unseren Kindern in der WhatsApp Gruppe heißt – Großfamilie geladen, können ob des Ansichtenwirrwarrs und der Pluralität durchaus Parallelen zur Knesset gezogen werden.

Während die Elterngeneration im letzten Wahlkampf viel über Steuergerechtigkeit und Migration bzw. Integration sinniert hat, war die Jugend mehr an bildungspolitischen Fragen interessiert. Zusehends erlebten wir Eltern eine Pinkfärbung des Nachwuchses, der uns noch kurz zuvor sehr links in den Ansichten erschienen war. Links-Rechts gibt es für die junge Generation nicht mehr.

Zionisten sind wir alle in der Familie, unsere Kinder durch und durch. Sie sind stolze Österreicher mit einer tiefen Liebe zu Israel. Wenn Heimat ein Gefühl ist, dann haben sie es da und dort. In Zeiten wie diesen, in denen ärgster Antisemitismus von der Linken mit der Bezeichnung „legitime Israelkritik“ reingewaschen wird, und sich die extreme Rechte zusehends an Israel anbiedert, ist es auch nur mehr schwer möglich, Kindern unser früheres Weltbild zu vermitteln.

Nun hat Österreich gewählt und erstaunlich schnell eine neue Regierung angelobt. Diese Regierung ist anders als die letzten, eine klassisch linke Partei ist nicht dabei. Die Grünen, eine linke Partei aus vielen ehemals Konservativen und gebildeten Sozialisten, sind nicht mehr im Nationalrat. Die in den letzten Jahrzehnten stärkste Partei übt sich jetzt in Opposition, ich persönlich habe den Eindruck, derzeit sucht sie noch recht verzweifelt ihren Platz.

Diese gravierende Veränderung im politischen Machtgefüge bringt eine enorme Anspannung mit sich. Während der Wahl kündigen alle Neues an, wenn gewählt ist, ist man sich nicht mehr so sicher, ob nicht früher eh alles besser oder zumindest eh gut war.

FreundInnen unserer Kinder gehen demonstrieren. Unsere Kinder nicht, sie wollen nicht. Ich bin froh, dass sie nicht wollen. Gegen eine demokratisch gewählte Regierung zu demonstrieren ist anarchisch. Gegen die angekündigten Veränderungen der neuen Amtsträger zu demonstrieren, zeigt entweder Intoleranz gegenüber politisch Andersdenkenden, die sich nun auch mal beweisen können und wollen, oder es zeigt fehlendes Vertrauen in den Rechtsstaat. Wenn die Vorhaben verfassungswidrig oder nicht EU konform sind, werden sie nicht durchgehen.

„So oder so ähnlich“, gab mir der Nachwuchs Recht. „Warum so ähnlich?“, bohrte ich. Und dann kam plötzlich sehr viel, unerwartet viel.

„Sollen sie doch demonstrieren, das hält die Regierung schon aus.“

„Warum soll ich mit Freunden streiten, wenn ich noch gar nicht weiß, ob mir das, was die neuen Regierungsgranden machen, gefallen wird oder nicht.”

„Manches werden sie besser machen, anderes schlechter.”

„Warum mit Freunden streiten, nur weil wir aus anderen Elternhäusern kommen.“

“Was für die Einen besser wird, schadet vielleicht den Anderen.“

Begeistert von dieser friedvollen Erklärungswelle seitens der jungen Weiss´ werfe ich ein: „Und habt ihr keine Angst vor blauen Nazis in Schlüsselpositionen? Sind die nicht das Hauptargument eurer demonstrierenden Freunde und Freundinnen?“

„Geh bitte Mama. Die Nazis sitzen überall, in allen Parteien und Richtungen. Manche sind lauter, manche ganz leise. Gegen die kommen wir eh nicht an, es sei denn, wir halten zusammen, auch wenn wir andere Ansichten über eure Steuern haben.“

Und Fanny dachte sich: Egal, was sie bei der nächsten Wahl als dann Wahlberechtigte ankreuzen werden, die Zukunft liegt sichtlich in einer weit besonneneren Generation als der heutigen, die sich mit Schuldzuweisungen, Kategorien von Gut und Böse, Willkommenskultur und Abschiebestrategien spaltet, während sie sich gegen echte Gefahren von außen schwächt.

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Über den Autor / die Autorin

Fanny Weiss

Fanny Weiss ist eine Gastgeberin alten Schlags. In ihrem Haus, das sie führt wie einen Salon der Jahrhundertwende, sind Gäste gern gesehen und herzlich willkommen, hier wird gut gegessen und leidenschaftlich diskutiert. Alltägliche Themen wie Kindererziehung und Familienleben werden ebenso erörtert wie Fragen der Nachhaltigkeit oder der Sinn des Lebens. Ihr Bedürfnis nach Zurückgezogenheit und Stille lebt die freischaffende Künstlerin in ihrem Atelier aus, das ihr als Versteck vor Menschen und allzu viel Gerede dient. Fanny ist verheiratet und Mutter zweier Teenager.

Von Fanny Weiss