UNBEFLECKTES VERHÄNGNIS

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Heiratssachen ohne Liebesg’schichten

Vor 16 Jahren wollte ich eines Abends eigentlich nur mit einer Kollegin was trinken gehen. Was daraus wurde, sitzt gerade neben mir. Die Mimi, meine 15-jährige Tochter. Die Begeisterung hielt sich, ehrlich gestanden, in Grenzen, als Mimis Mama, meine Ex, nach ein paar Wochen mit der frohen Botschaft antanzte, Nachwuchs wäre unterwegs. Sagen wir es so: Eine durchschnittliche Raumtemperatur und der IQ meiner Ex liegen etwa auf dem gleichen Level. Kein Wunder, dass der einzige Test, den die Beste jemals mit Bravour bestanden hat, der Schwangerschaftstest war.

Büşra ist zurück

Naja, trotzdem haben wir gschwind vor Mimis Geburt geheiratet, weil sich das so gehört. Und nach einer Zeit wieder scheiden lassen. Mimi ist das einzig Leiwande aus der ganzen Geschichte. Jetzt hockt der Spross meiner Lenden da mit mir in der Konditorei Aida und beißt gierig in seine geliebte Cremeschnitte. Meins ist ja diese Braun-Rosa-Retroidylle nicht, aber das Kind steht drauf.

„Du Papa“, schmatzt Mimi nun zwischen zwei Bissen, „Kannst Du Dich noch an die Büşra erinnern? Mit der wir einmal zu dieser Beratungsstelle gefahren sind?“

Ja logo, die türkische Klassenkollegin, die wie ein Paket in die Heimat transportiert, und dort gegen ihren Willen verheiratet wurde. Mit Mehmet, ihrem Cousin, acht Jahre älter als sie. Ich nicke. „Die Büşra ist wieder da, in Wien“, sagt Mimi triumphierend, „mit dem Mehmet das hat nicht funktioniert.“

Verpatzte Hochzeitsnacht

Mimi berichtet, dass sie mit ihrer Freundin vor kurzem geskypet hat. Heimlich. Das junge Mädel wurde nämlich von den strengen Eltern zu Hausarrest verdonnert, selbst zur Schule darf sie nicht. Nur in die Moschee, mit der älteren Schwester.

Ich zucke mit den Schultern, weiß nicht, wie ich das kommentieren soll. „Doch nix mit großer Amore und so?“ Mimi zieht missbilligend die Augenbraue hoch und ich ahne, dass ich gerade die Büchse der Pandora geöffnet habe.

„Die Hochzeit war eh okay“, antwortet das Kind in einem altklugen Tonfall, „aber die Hochzeitsnacht dann irgendwie der volle Schas.“ „Ach ja? Egal, Mimi, komm, wir sollten dann langsam…“ Doch die Tochter macht keinerlei Anstalten aufzubrechen. Im Gegenteil.

„Weißt Papa“, sagt sie, „der Mehmet, also ihr Mann, der hat in der Hochzeitsnacht nicht können. Weil er keinen hochgekriegt hat. Verstehst, Papa?“

Mama ante portas

Dezenz ist grundsätzlich nicht Mimis Kernkompetenz, leider hat sie auch ein eher lautes Organ, ganz die Frau Mama. Ich spüre im Rücken die Blicke der zwei aufgetakelten End-Fuffzigerinnen vom Nebentisch. „Na heast, Mimi, das kann einem Mann schon einmal passieren. Die Aufregung, zu viel Alkohol was weiß ich. Aber was schert uns der Hänger von diesem Mehmet, lass uns jetzt lieber…“. Meinen hilflosen Versuch, das Thema zu wechseln, wischt Mimi weg wie die Cremeschnitten-Bröseln von ihrem Teller:

Geh Papa, Alk trinkt der doch nicht, als Moslem. Aber vielleicht hat er nicht können, weil seine Mama vor der Türe vom Schlafzimmer gesessen ist. Das macht einen Mann schon bissi nervös, oder?“ Ich drehe mich ruckartig nach hinten um, die beiden Damen starren uns an. „Mimi, so ein Blödsinn, was macht denn seine Mutter in der Hochzeitsnacht vor der Türe, wenn der Typ gerade … also bitte.“

Vom Fleck weg geheiratet

„Na, wegen den Blutflecken!“ Mimi scheint ob meiner Unwissenheit irritiert: „Papa, die Schwiegermutter kontrolliert bei denen, ob die Braut Jungfrau war. Also, ob die eh blutet beim ersten Mal, und so.“

Mir wird immer ungemütlicher, warum habe ich auch nachgefragt, ich Depp. Mimi scheint dafür so richtig in Fahrt zu kommen.

„Die Büşra hat erzählt, dass bei ihnen daheim in der Türkei in manchen Familien das Leintuch mit dem Blut auf den Balkon rausgehängt wird. Als Beweis und so. Manchmal wischen sich die alten Frauen damit auch in den Augen herum. Die glauben, dann wird man nicht blind, und…“ „Mimi, langsam wird’s ungschnastig, ehrlich“, wage ich zu unterbrechen, „mich interessiert dieser verklemmte Mittelalter-Dreck nicht. Du, wie ist eigentlich die Mathe-Schularbeit gestern gelaufen?“ Unbeeindruckt plappert die Tochter weiter:

„Also, die Büşra war aber eh noch Jungfrau, ganz sicher. Aber er hat ja keinen hochgekriegt, also haben sie nicht … weißt eh, und weil halt kein Blut am Leintuch war, hat die Tante sie angeschrien, dass sie eine Hure ist, und die Ehre der Familie zerstört hat. Der Mehmet hat nix gesagt, der Orsch, weil er sich geniert hat. Dabei wars ja seine Schuld, eigentlich. Alle Frauen haben total herumgeheult, und dann haben die Männer beschlossen, dass die Büşra wieder nach Wien zurück soll.“

Hintertürchen für die Moral

„Das ist ja wenigstens fast ein Happy End“ murmle ich, und gebe mich geschlagen. Mimis Wortschwall muss man vorbei ziehen lassen wie einen Tropensturm. Nicht zufällig haben diese Unwetter immer weibliche Namen.

„Ja eh, aber jetzt sind die Eltern ur sauer, weil die Büşra nie wieder einen Mann kriegen wird“, empört sich Mimi, „eine Hure nimmt ja keiner mehr, das ist so bei denen. Voll gemein. Weil, die Büşra ist sogar noch eine total richtige Jungfrau, nicht so ein Fake.“ „Fake?“ Jetzt bin ich irritiert, „was meinst Du damit?“

„Na, weil ur viele, also so Musliminnen, die machen es mit ihrem Freund dann halt von hinten. Ihm zuliebe. Dann sind sie zwar noch Jungfrau, aber irgendwie ja auch wieder nicht. Verstehst eh, Papa? Von hinten halt.“

Wo bleibt eigentlich der Weltuntergang, wenn man ihn braucht. Ein solcher täte jetzt super von meiner Gesichtsfarbe ablenken, die für jede Aida-Verkäuferin als erstklassige Punschkrapferl-Couleur durchginge.

„Manche Mädchen haben auch ganz echten Sex. Das ist dann blöd, wegen der Familienehre und so“ erläutert Mimi nun, „Wenn die genug Kohle haben lassen sie dieses Jungfernhäutchen darum vor der Hochzeit wieder zsammnähen. Merken Männer eh nicht, sowas.“ „Haut Couture“ schießt mir durch den Kopf, in dem mir schon ganz schwummerig ist. Eilig winke ich die Serviererin zum Zahlen herbei.

Viel Haut um Nichts

Nicht nur die End-Fuffzigerinnen hinter mir tuscheln erregt, auch bei den sonstigen Anwesenden stehen wir zweifelsfrei im Mittelpunkt. „So ein Zirkus um ein deppates Stückl Haut“, gewinne ich, als wir endlich aufstehen, meine Fassung wieder zurück: „die haben ja einen ordentlichen Poscher.“

„Ja, aber die Büşra ist voll arm. Und alle anderen Mädels, die solche Trotteleltern haben, die auch“, bleibt Mimi stur, „irgendwie sogar der Mehmet.“

„Hoffentlich stirbt der nie einen Märtyrertod“ antworte ich. „Wieso, Papa?“ „Na, weil wenn der zur Belohnung vom Propheten ins Paradies abberufen wird, wo 72 Jungfrauen auf ihn warten – der ist ja schon mit einer überfordert.“ Bevor mich Mimi für die flapsige Bemerkung mit einem „Geh, Papa!“ zurechtweisen kann rufe ich laut: „So, wer als erster beim Auto ist, kriegt noch ein Eis. Mit drei Kugeln. Drei!“

Und dann rennen wir los.

Über den Autor / die Autorin

Walter Vukovic

Walter „Wukkerl“ Vuković, 44, ist Taxifahrer. Mitten in Wien und zwischen den Welten. Wukkerl hat Migrations-Hintergrund (Vater aus Serbien, in den 70ern als Gastarbeiter nach Wien gekommen, Mutter Österreicherin), ist geschieden und Vater einer Tochter (15).

Von Walter Vukovic