SIMBABWES ERZWUNGENE WAHL

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Photo: Emmerson Mnangagwa, World Economic Forum, CC BY-NC-SA 2.0

Wahlen führen nicht immer zu Demokratie

Die Ereignisse in Simbabwe waren vorhersehbar. Eine von den internationalen Finanz- und Kreditorganisationen geforderte demokratische Wahl als Bedingung für finanzielle Unterstützung und Kredite musste schief gehen – und ging auch schief. In dem völlig chaotisch organisierten Staat mit großen, ländlichen Gebieten, wo eine freie und demokratische Wahl im derzeitigen Zustand des Landes nie kontrolliert und garantiert werden könnte, siegte der Vertreter der regierenden Zanu-PF Partei (Zimbabwe African National Union – Patriotic Front) mit dem knappen Ergebnis von 50,8 Prozent.

Die oppositionelle Partei MDC (Movement for Democratic Change) lehnte das Ergebnis ab und sprach von Wahlbetrug. Bereits vor der Verkündung des Ergebnisses der Stimmenauszählung erklärte der Führer der Opposition, Nelson Chamisa, er werde das Ergebnis anfechten, falls sein Gegner die Wahl gewinnen würde.

Die Wahlen letzte Woche waren die ersten nach 40 Jahren Herrschaft des jetzt 94-jährigen Mugabe, der das Land in den wirtschaftlichen und sozialen Abgrund gestürzt hat. Sein ehemaliger Vize-Präsident Mnangagwa, wegen seiner Skrupellosigkeit das »Krokodil« genannt, übernahm nach dem Abtritt Mugabes die Macht und präsentiert sich jetzt als Wahlsieger. Schon in den Tagen nach dem Wahlsieg zeigte er seine persönliche Interpretation von demokratischer Macht und ließ auf Demonstranten der Opposition mit scharfer Munition schießen. Das Ergebnis waren sechs Tote und Dutzende Verletzte.

Wahlen bedeuten noch nicht Demokratie

Die Wahlbeobachter der EU, die Journalisten der internationalen Medien und die politischen Vertreter meist europäischer Länder hatten schnell ihre Antworten parat: Der neue Machthaber ist schuld und zeigt seine wahre Gesinnung durch das brutale Vorgehen gegen die Demonstranten. Doch vielleicht ist die Sache nicht so einfach und schwarz/weiß, wie sie durch westliche Fachleute immer wieder dargestellt wird. Ist eine freie Wahl wirklich das einzige Kennzeichen des Beginns einer Demokratisierung nach Jahrzehnten einer Diktatur?

Nach Meinung des international anerkannten Instituts IGC (International Growth Centre and Commission on State Fragility), einer Organisation unter der Leitung des ehemaligen britischen Regierungschefs David Cameron, dem auch zahlreiche ehemalige afrikanische Staatschefs angehören, ist die Verknüpfung der Gewährung finanzieller Mittel mit freien Wahlen einer der schlimmsten Fehler beim Übergang einer Gesellschaft von Diktatur zur Demokratie.

Paul Collier, einer der Direktoren des Instituts und Professor für Ökonomie der Universität Oxford, kritisierte die Vertreter der Weltbank, der UNO und andere Institutionen, die über die Bereitstellung von Krediten entscheiden, als naiv und infantil in ihren Auffassungen von Demokratie und Gerechtigkeit.  Ahnungslos über die realen Bedingungen in den verschiedenen Ländern, würden sie ihre aus den Lehrbüchern übernommenen Vorstellungen von Demokratie als Bedingung vorbringen und damit die Demokratisierung nicht einleiten, sondern eher verhindern. Die Beispiele Irak und Libyen hätten gezeigt, dass ein Drängen der internationalen Gemeinschaft auf freie Wahlen, die aufgrund der jahrelangen diktatorischen Verwaltung eines Landes nie von heute auf morgen »frei« sein könnten, genau das Gegenteil bewirken und das Land ins Chaos stürzen würde, kritisierte Professor Collier.

Einheitsregierung als Übergang

In Simbabwe schlug die Opposition vor, die Wahlen um ein paar Jahre zu verschieben und während der Übergangszeit zur Stabilisierung und Modernisierung des Landes eine Einheitsregierung zu bilden, die aus Vertretern der Opposition und der Partei von Mugabe zusammen gesetzt sein könne.

Beide Seiten stimmten dem Vorschlag zu, und die Opposition zeigte eine gewisse Bereitschaft, die Forderung nach Wahlen zu verschieben. Die Partei des greisen Diktators hatte ohnehin wenig Interesse an Wahlen, ihre jüngeren Vertreter akzeptierten jedoch die Notwendigkeit für Änderungen, um Wirtschaft, Infrastruktur, Gesundheits- und Schulsystem zu verbessern. In monatelangen Gesprächen einigten sich die beiden politischen Gruppen, eine Art »Einheitsregierung« zu bilden, um politische Auseinandersetzungen, die das Land noch tiefer ins Chaos drängen würden, zu vermeiden. Als Arbeitszeit für die Einheitsregierung schlugen die Kontrahenten eine Periode von zwei bis drei Jahren vor, dann sollten freie Wahlen stattfinden. Nach dieser Phase der Veränderungen wäre sowohl die strukturelle Organisation des Landes als auch das Demokratie-Verständnis der Bevölkerung bereit, das Ergebnis freier Wahlen umzusetzen.

»Geld für Wahlen«

Doch die internationalen Organisationen, die auch die Geldmittel kontrollieren, lehnten diese Lösung ab und bestanden auf sofortige Wahlen. »Geld für Wahlen« war das Motto der Bürokraten in ihren Finanztempeln in den Hauptstädten der westlichen Welt, ohne auch nur eine Ahnung über die aktuellen Verhältnisse in Simbabwe zu haben.

Diese Entscheidung unterbrach die beginnende Zusammenarbeit zwischen Opposition und Regierung und beide Gruppen zogen sich zurück, um sich für den Kampf an der Wahlurne vorzubereiten. Der produktive Dialog zur gemeinschaftlichen Verbesserung der Lage im Land endete in einem aggressiven Gegeneinander mit Vorwürfen und Drohungen. Die Regierungspartei konzentrierte sich auf die ländlichen Gebiete, wo Mugabe bis heute verehrt wird, und die Opposition bereitete in den Städten bereits Demonstrationen vor, im Falle eines Wahlsieges des regierenden Vize-Präsidenten.

Egal wie die Wahlen ausgegangen wären, kein Ergebnis wäre von einer der beiden Seiten akzeptiert worden. Nicht nur weil die Wahl vielleicht nicht fair oder demokratisch gewesen wäre, sondern weil keine der beiden Seiten die demokratische Tradition hat, eine Wahlniederlage zu akzeptieren. Sie hätten jedes Ergebnis als Wahlbetrug kritisiert.

Der ehemalige US-Außenminister John Kerry überraschte vor vielen Jahren nach der letzten Wahl in Afghanistan selbst seinen Präsidenten, als er noch vor der Auszählung der Stimmen nach Kabul flog und die Vertreter der verschiedenen Parteien bat, eine Einheitsregierung zu bilden, und das Wahlergebnis einfach nicht bekannt zu geben, weil es dadurch überflüssig geworden sei. Er schlug sogar vor, im Falle einer Einigung für eine gemeinschaftliche Regierung, die Stimmen nicht einmal zu zählen, da jedes Ergebnis, gleichgültig welche Partei gewonnen hätte, zu Unruhen, Demonstrationen und Instabilität führen würde.

Kerry war einer der wenigen Politiker, die sich vom Klischee der »Wahlen als Symbol für Demokratie« löste und eine praktische, ortsbezogene Lösung suchte. Er wurde von seinen eigenen Mitarbeitern im State Department kritisiert, die meinten, wie sollte man das der amerikanischen Bevölkerung erklären, nachdem man Jahrelang versuchte, sie zu überzeugen, dass der Einsatz von Geld und Soldaten dem Land die Demokratie bringen würde.

Der so genannte »arabische Frühling« ist ein anderes Beispiel für eine Situation, in der weder Journalisten noch die politische und intellektuelle Elite des Westens die Lage erkannten und verstanden. Auch für diese Länder begrüßte man lautstark den eingeschlagenen Weg zur Demokratie mit sofortigen Wahlen, die alle möglichen Folgen hatten – nur keine demokratischen Strukturen und keine demokratischen Freiheiten für die Bewohner.

Das sind immer noch Interpretationsunterschiede, über die man diskutieren könnte. Doch dort, wo es um für das Überleben eines Staates wichtige finanzielle Mittel und Kredite geht, sollten Bürokraten und Bankdirektoren nicht über den Weg zur Demokratie des Landes entscheiden. Falls der Weg tatsächlich das Ziel ist – wie es in dem Sprichwort heißt – ist es die Entscheidung eines Landes, einer Gesellschaft, welcher Weg zur Demokratie gewählt wird, auf der Grundlage der realen Bedingungen dieses Landes.

Mit finanzieller Unterstützung Wahlen zu erpressen, die erneut ins Chaos führen, zeigt höchstens, dass eine sogenannte »Elite« aus Politik und Finanzwelt ihren geistigen Horizont überschätzt.

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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