Perfekter Nährboden für die AfD

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Die AfD eilt bei Umfragen gerade von Rekordhoch zu Rekordhoch – ein Blick ins Ausland könnte helfen, den Nährboden dafür zu verstehen und die Populisten einzubremsen. 

Es ist schon wieder was passiert. Bei der Sonntagsfrage des RTL/n-tv-Trendbarometers liegt die AfD mit 21 Prozent nur noch vier Prozentpunkte hinter der CDU/CSU, mit gleich großem Vorsprung auf die SPD, die auf den dritten Platz kommt. Dahinter liegen die Grünen mit 15 Prozent, die FDP mit sechs und DIE LINKE mit fünf. Insgesamt kommt die Ampelkoalition auf gerade einmal 38 Prozent Zustimmung. Wären diesen Sonntag Bundestagswahlen, würde jeder Fünfte die AfD wählen. 

Damit ist die AfD kein Phänomen der »neuen Bundesländer« mehr, die inzwischen gar nicht mehr so neu sind, und schließt an die Erfolge anderer Rechtsaußen-Parteien in ganz Europa an. Wundern sollte man sich darüber nicht.

Von Österreich lernen

Der Erfolg der FPÖ seit der Machtübernahme durch Jörg Haider im Jahr 1986 ist eine Blaupause für jenen der AfD. Hier wie dort ähnelten sich die hilflosen Versuche der etablierten Parteien, den Aufstieg der Aufsteiger zu verhindern.

Einwanderungsgesellschaften sind Chancengesellschaften, Österreich ist eine Kooperationsgesellschaft.

Zwar war Migration eines der Hauptthemen der Freiheitlichen, die dabei auf einen gewissen Bodensatz aus Fremdenhass und Rassismus setzen konnten. Aber es war bei weitem nicht das einzige. SPÖ und ÖVP hatten das Land zu diesem Zeitpunkt mehr als 40 Jahre lang regiert und alle wesentlichen Positionen in Verwaltung und Interessensvertretungen, in staatsnahen Betrieben und Medien mit ihren Parteigängern besetzt. Wo sie nicht wie im ORF oder der verstaatlichten Industrie direkt Einfluss nehmen konnten, begünstigten parteinahe Netzwerke die Karrieren. 

Jahrzehnte später sollte mir ein hoher Beamter des Innenministeriums erklären, warum Österreich kein Einwanderungsland sei: »Einwanderungsgesellschaften sind Chancengesellschaften, Österreich ist eine Kooperationsgesellschaft.« Schöner kann man den über Jahrzehnte gewobenen Filz nicht beschreiben. 

Haider verdankte seinen Erfolg nicht nur Charisma oder hemmungslosem Populismus, sondern auch dem Unvermögen und Unwillen der Volksparteien, offensichtliche Missstände zu beheben. Und so kam es, wie es kommen musste. Bei der Nationalratswahl 1999 errangen die Freiheitlichen 26,9 Prozent der Stimmen und wurden in der Folge zur Regierungspartei. Verloren hat die FPÖ immer dann, wenn sie mitregiert hat. Populismus funktioniert eben nur in der Opposition.

Positionen besetzen statt verunglimpfen

Der vielgeschmähte Sebastian Kurz hat zumindest gezeigt, wie man einer rechtspopulistischen Partei das Wasser abgräbt, indem man ihre Positionen besetzt. Der dänischen Sozialdemokratin Mette Frederiksen gelang dasselbe auf einem anderen Feld. Hingegen führte die Linke gegen Haider und später gegen Strache und Kickl vor allem ideologische (»rechts«) und moralische (»unmenschlich«) Argumente ins Feld. Unabhängig davon, ob diese Argumente berechtigt sind, und das waren sie zu einem großen Teil: Wahlen gewinnt man damit nicht. Wenn Politiker die Anliegen der Wähler ignorieren oder gar verunglimpfen, werden sie abgewählt. 

Und das mit Recht. Bertolt Brecht kommentierte den Aufruf der DDR-Regierung nach dem Aufstand am 17. Juni 1953, die Bevölkerung müsse ihre Arbeit nun verdoppeln, um das Vertrauen der Regierung zurückzugewinnen: »Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?« Diese Frage drängt sich auch nach jeder zweiten Talkshow im deutschen Fernsehen auf. 

Deutschland leugnet das Offensichtliche

Die AfD ist ein Produkt der Ära Merkel. Eine Regierung, die ihre Politik für „alternativlos“ hält, schreit geradezu nach einer Alternative. Die sich nach dem Euro-Rettungsschirm für Griechenland 2013 als Alternative für Deutschland auch prompt gründete. Die genauso alternativlose Flüchtlingspolitik der Kanzlerin im Jahr 2015 – »Dann ist das nicht mein Land«, Sie erinnern sich – machte aus der professoralen, eurokritischen Kleinpartei eine Massenbewegung, die heute für jeden fünften Deutschen wählbar ist. Trotz ihrer Putintreue, trotz der Rechtsradikalen in ihrer Führung, trotz der Ächtung durch alle Leitmedien und das gesamte politische Establishment. Ich glaube nicht, dass ein Fünftel der Deutschen plötzlich einer Art Nazi-Nostalgie erlegen ist. Vielmehr kommt gerade eine ganze Reihe von Problemen an die Oberfläche:

Dass die Kommunen bei der Aufnahme von Migranten längst an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gestoßen sind, weil es an Infrastruktur und Personal mangelt; dass acht Jahre nach der ersten großen Flüchtlingswelle nicht einmal die Hälfte der Neuankömmlinge ohne staatliche Zuschüsse ihren Lebensunterhalt bestreiten kann; dass Migranten in der Kriminalitätsstatistik bei Gewaltverbrechen überrepräsentiert sind; dass der Wirtschaftsstandort akut gefährdet ist, weil Betriebe und Investitionen ins Ausland abwandern; dass VW gerade seinen Nokia-Moment erleben könnte; dass Deutschland trotz hunderter Milliarden an Investitionen in die Energiewende mit den teuersten und dreckigsten Strom Europas produziert; dass das Land, das einmal für seine Techniker und Ingenieure berühmt war, in Zukunftstechnologien wie Künstlicher Intelligenz, Gentechnologie und ja, Atomkraft, hoffnungslos abgeschlagen ist – die Liste ließe sich lange fortsetzen, das kurze Fazit lautet: Vieles spricht dafür, dass Deutschland aufgrund eigener politischer Entscheidungen eher früher als später wieder der kranke Mann Europas sein wird. 

Die Wähler wählen, wen sie wollen

Dass die AfD nichts davon lösen kann, spielt wenig Rolle. Sie wird von denen gewählt, die den anderen Parteien nicht mehr über den Weg trauen. Die Ampel-Koalition steht ohnehin in der Verantwortung, vom Atomausstieg bis zum Gebäudeenergiegesetz. Aber die Leute wissen natürlich, dass so gut wie alle oben genannten Probleme ihren Ursprung in der Regierungszeit Angela Merkels haben. Wie sollten sie dann der CDU/CSU trauen, solange diese keinen glaubwürdigen Kurswechsel kommunizieren kann? 

Eine Zeitlang konnte man so gut wie jede Kritik an den herrschenden Zuständen abwehren, indem man behauptete, diese besorge nur das Geschäft der AfD. Diese Zeit ist vorbei. Das politische und mediale Establishment des Landes kommt nicht mehr umhin, sich inhaltlich ernsthaft mit den politischen Schmuddelkindern auseinanderzusetzen. Nicht zuletzt am Beispiel Österreichs sieht man, dass es nicht reicht, »Sonnenschein« zu rufen, wenn die Kickls und Weidels behaupten, dass es regnet. Man sollte wenigstens aus dem Fenster sehen. Deswegen muss man ihnen ja noch lange keinen Schirm abkaufen.

 Zuerst erschienen im Pragmaticus.


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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.