Göring und der Kunstfälscher

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Eines der bekanntesten Gemälde des echten Vermeer: ›Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge‹

Wie ein unbekannter Maler den Reichsmarschall zum Narren machte 

Am 9. Mai 1945, kurz nach der Kapitulation des NS-Regimes ließ Reichsmarschall Hermann Göring eiligst sein Hab und Gut zusammenpacken und fuhr mit mehreren Lastkraftwagen in Richtung Österreichische Grenze, wo er sich persönlich General Eisenhower ergeben wollte. Er wusste, dass alles verloren war, nicht nur der Krieg, seine machtvolle Position, seine uneingeschränkte Herrschaft über Leben und Tod, sondern auch eine der größten privaten Kunstsammlungen, die er in den Salzminen in Bayern versteckt hatte.

Ein einziges Bild dieser wertvollen Kollektion wollte er retten. Gut verpackt und zwischen Möbeln versteckt, befestigt an einen Schreibtisch, fanden alliierte Soldaten ein Werk von Jan Vermeer van Delft, dem holländischen Maler des 17. Jahrhunderts, der mit dem Bild ›Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge‹ eines der schönsten und bekanntesten Gemälde schuf.

Zwei Jahre zuvor hatte Göring über einen geheimen Zwischenhändler das Bild ›Christus und die Ehebrecherin‹ gekauft, ein von Fachleuten geprüftes, und angeblich verschollenes Werk von Vermeer um eine Summe, die nie zuvor für ein Gemälde ausgegeben wurde. Der reale Wert war allerdings Null-Komma-Nichts, gemalt und auf ›alt‹ präpariert von einem der genialsten Fälscher, über dessen Leben und Betrügereien in den nächsten Wochen ein neuer Film herauskommen wird unter dem Titel ›The Last Vermeer‹.

Das Genie hinter dem Geniestreich war der 1889 in einer holländischen Kleinstadt geborene Maler Han van Meegeren. Sein Vater zwang ihn, Architektur zu studieren, doch nach kurzer Zeit brach er dieses Studium ab und besuchte die Kunstschule in Delft. Die ›alten Meister‹, ihre Farbmischungen und Techniken, begeisterten ihn, und er arbeitete in dieser Tradition. Doch trotz finanziellem Erfolg mit Porträts und Landschaftsmalerei verhöhnten die Kritiker seine Bilder als »visionslosen« Kitsch.

Rache am Kunst-Establishment

Meegeren reagierte mit Wut und Enttäuschung und beschloss, sich an der Kunst-Welt zu rächen. In den 1930er Jahren begann er die ›alten Meister‹ genauer zu studieren, las deren Biographien und suchte in Bibliotheken nach Unterlagen über ihre Mal- und Farbtechniken. Besonders Vermeer faszinierte ihn, jenes Genie der Niederlande, von dem nur 37 Gemälde erhalten sind, mehrere Werke in Briefen und Dokumenten erwähnt, jedoch nie gefunden wurden. Er mietete ein Haus in Südfrankreich und begann, mit künstlichen Alterungsprozessen zu experimentieren. 

Ein Gutachter beschrieb später seine Arbeitsweise: »Er trocknete die Gemälde bei Temperaturen von 100 bis 120 Grad, spannte die Leinwand um einen Zylinder und erzielte auf diese Weise eine außerordentlich echt wirkende Sprungbildung; mit großer Sorgfalt färbte er jeden einzelnen Sprung und selbst den feinsten Riss mit schwarzer Tusche; ein brauner Firnis verlieh dem Gemälde schließlich die altersdunkle Färbung.« Meegeren arbeitete mit Rost und altem Laub, um den Prozess des Alterns vorzutäuschen, konstruierte Geschichten von alten Witwen, bei denen er die Gemälde entdeckt hatte und kooperierte mit einem Netzwerk von Kriminellen, um die Werke am Kunstmarkt anzubieten.

Mit dem Verkauf ›neu entdeckter‹ Meisterwerke unter anderem von Frans Hals und Pieter De Horch änderte sich der Alltag des Fälschers. Er genoss den plötzlichen Luxus und mietete eine Villa an der Côte d’Azur mit einem herrlichen Garten und Blick aufs Meer. Dort beschäftigte er sich mit den Methoden, die gegen Fälschungen damals angewandt wurden. Die alten Farben durften sich nicht in Alkohol lösen und mussten eine sogenannte ›Krakelee› – einen Riss, oder Sprung – bilden, wie sie auf Vermeers Bildern gefunden wurden. 

Während der Jahre 1936-1937 begann er mit dem Gemälde ›Christus und die Jünger in Emmaus‹. Als Vorbild wählte er Bilder von Michelangelo, für das Porträt der Wirtin angeblich ein Foto von Greta Garbo, er selbst verewigte sich im Bild des Christus. Er kopierte Technik und Malkunst so perfekt, dass namhafte Experten das Bild für ein Original des holländischen Malers Vermeer hielten. Im Oktober 1937 erschien ein Artikel des bekannten Kunstkritikers Abraham Bredius, in dem er die Wieder-Entdeckung des Bildes als »große Bereicherung des niederländischen Kunstbesitz« erklärte. Das Rotterdamer Museum ›Boijam Van Beuningen‹ kaufte das Bild für 500.000 Gulden und zeigte es mehrere Monate lang als »wiederentdeckte Sensation«. Die Zeitschrift für Kunstgeschichte schrieb damals: »Im Raum, in dem das Vermeer Bild ziemlich isoliert hing, war es still wie in einer Kapelle. Das Gefühl der Weihe strömt auf die Besucher nieder, obwohl das Bild durchaus nichts Kultisches und Kirchliches hat.«

Die Fälschungen machten Van Meergeren zu einem reichen Mann. Er kaufte in Nizza ein üppiges Château mit großzügigen Rosengärten und einem Olivenhain, 12 Schlafzimmern, einer Werkstatt und einem Atelier. Produzierte Dutzende Fälschungen, verkaufte sie an private Kunden und genoss das luxuriöse Leben eines Hochstaplers mit Trinkgelagen und zahlreichen Liebschaften, bis 1939 der Krieg begann und er nach Holland zurückkehren musste.

Göring zahlte bar mit britischen Pfund  

In Amsterdam konzentrierte er sich wieder auf Vermeer, da der Mythos von ›verlorenen‹ Bildern des Meisters immer noch ein enormes Interesse erweckte. Einen der wenigen Vermeers zu besitzen, war der absolute Stolz privater Sammler und Museen. Selbst das berühmte Rijksmuseum in Amsterdam fiel auf seine Täuschung herein und kaufte um die stolze Summe von 1,2 Millionen Gulden das Bild ›Die Fußwaschung‹, das in einer Wohnung in Amsterdam wenige Monate zuvor von Meergeren gemalt und gealtert, und dennoch von den Fachleuten des Museums als ein »echter Vermeer« bestätigt wurde. Zwischen 1936 und 1943 verkaufte er sechs ›neu-entdeckte‹ Vermeer. Im Laufe dieser Jahre konnte Meegeren ein unglaubliches Vermögen anhäufen. Bei Kriegsende besaß er 52 Häuser in Amsterdam, 15 Villen in der Umgebung und eine wertvolle Kunstsammlung.

Die spektakulärste Täuschung gelang ihm jedoch 1942 mit dem Verkauf des Bildes ›Christus und die Ehebrecherin‹ um 1,65 Millionen Gulden an den damals mächtigen Reichsmarschall Göring, der bereit war, den Betrag in bar mit britischen Pfund zu bezahlen. Göring, ein begeisterter Kunstsammler, beschäftigte ein eigenes Agentennetzwerk, um Kunstwerke zu erwerben oder zu beschlagnahmen. Alois Miedl, ein deutscher Kunsthändler, der mit dem Verkauf von Raubgut an NS-Größen reich geworden war, vermittelte das Geschäft. Göring zeigte den falschen Vermeer stolz seinen Gästen in seiner großzügigen Residenz ›Carinhall‹, in der er ein Privatmuseum mit Kunstwerken eingerichtet hatte, die fast alle beschlagnahmt oder arisiert worden waren. Nur seinen ›Vermeer‹ hatte er tatsächlich bezahlt.

Nach Ende des Krieges wurde Meegerer als Kollaborateur und Sympathisant der Nationalsozialisten verhaftet. Angesichts des Vorwurfs »nationales Kulturgut der Niederlande« an Nationalsozialisten verkauft zu haben, drohte ihm eine langjährige Haftstrafe. Er versuchte sich mit einem Geständnis zu retten, er habe die Bilder gefälscht und Göring getäuscht und betrogen, doch das Gericht glaubte ihm nicht. Meegerer bot als Beweis an, während der Untersuchungshaft einen weiteren Vermeer herzustellen. Der Richter stimmte zu und Meegerer malte unter Beobachtung im Gerichtssaal das Bild ›Jesus unter Schriftgelehrten‹. Der Vorwurf der Kollaboration wurde fallen gelassen, doch 1947 verurteile ihn das Gericht wegen Betrug und Fälschung zu zwei Jahren Gefängnis. Er legte keine Berufung ein und starb wenige Tage vor Antritt der Strafe mit 58 Jahren an einem Herzversagen.

Im Januar 1951 gab sein Sohn Han van Meegeren eine Erklärung ab:

Die Bilder:
›Jüngling mit der Pfeife‹ im Groningen Museum
›Der lachende Kavalier‹ in der Sammlung Cornelis Hofstede de Root
›Dame mit dem blauen Hut‹ in der Thyssen Sammlung 
›Kopf eines jungen Mädchens‹ im Museum Mauritshuis in Den Haag
seien alle Fälschungen seines Vaters.

Zuerst veröffentlicht in NEWS.


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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