GEKLONTER WEIN

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Weingarten oder Labor?

In einem bisher wohl einmaligen Experiment in New York konnte der anerkannte Weinkenner Andrew Bell, ein Sommelier mit 35 Jahren Erfahrung, einen echten Wein nicht von einem im Chemielabor nachgemachten Produkt unterscheiden.

Ein bekanntes Steak-Restaurant in Manhattan lud ihn zu einer Kostprobe ein. Der Besitzer bat ihn, zwei Weine zu identifizieren, die ihm angeboten wurden. Das Restaurant könne sich jedoch nicht entscheiden, welchen sie auf ihre Weinliste aufnehmen solle. Bell ging die Sache professionell an, wie immer, wenn er Weine testen sollte. Er roch, er kostete, beobachtete die Farbe gegen das Licht und schwenkte das Glas immer wieder. Beide Male schrieb der stadtbekannte Sommelier, dass er kaum Unterschiede erkennen könne. Sowohl die beiden Roten als auch die Weißen seien fast identisch, er fand dann doch ein paar minimale Unterschiede und schrieb seine Empfehlung mit einer ausführlichen Begründung auf ein Stück Papier.

Der rote Wein, den er auswählte, war aus einer Flasche »The Prisoner«, mit dem saftigen Preis von mindestens 40 Dollar für die Flasche und der Weiße eine Marke, von der er noch nie gehört hatte. Sie hieß einfach »Knockoff« und kostete 10 Dollar. Andrew Bell ging davon aus, dass beide Weißweine kalifornische Chardonnays waren. Endlich lüftete der Restaurantbesitzer das Geheimnis und erklärte dem verblüfften Weinkenner, dass er sich jeweils zwischen einem echten Wein aus einem anerkannten Weingut und einem reinen Laborwein entscheiden musste. Als besseren Rotwein wählte Bell den echten Wein, wenn auch in seiner Beurteilung auf die minimalen Unterschiede zum anderen verwiesen wurde. Als Weißen zog er den im Labor geklonten Wein vor, der ihm besser schmeckte als der originale Chardonnay.

Zwei Chemiker

Ari Walker heißt der Erfinder des geklonten Weins. Er gründete mit dem Chemiker Kevin Hicks das Unternehmen REPLICA, dass sich auf die Untersuchung der Inhaltstoffe besonders teurer Weine spezialisiert, um sie zuerst im Labor und später industriell zusammen zu mischen. Sie lösten eine Schockreaktion in der Weinindustrie aus, die sich sofort bemühte, über ihre Händler das Produkt zu verhindern. Weinspezialisten sprachen von »Frankenstein Wein« und warnten, dass selbst eine chemische Analyse zum Beispiel spezifische Bodenbeschaffenheit und Lagerung nicht kopieren könne. Doch auch das fanden die Chemiker in den Analysen. Sie konnten sogar feststellen, in welchen Fässern der Wein gelagert wurde und fanden die spezifischen Geschmacksstoffe, die sich im Wein auflösten.

Begonnen hatte alles mit einer Wette. Walker und Hicks arbeiteten in Colorado in einem Forschungslabor, das im Auftrag der Regierung Babynahrung nach gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffen kontrollierte. Einmal ließen sie eher als Gag einen Wein durch die Analysengeräte laufen und fanden etwa 600 verschiedene Stoffe – manche nur in Mikromengen – die Geschmack, Farbe und Geruch eines Weines ausmachten. Auf der Grundlage der Inhaltsstoffe wettete Walker mit Hicks, dass er einen besonders teuren Wein einfach nachmachen und Hicks die beiden nicht unterscheiden könnte. Hicks verlor die Wette und beide beschlossen, die Idee kommerziell umzusetzen.

Billigwein als Grundlage

Ein Dritter schloss sich ihnen an, Ed Killian, ein Fachmann der Weinherstellung, der den internationalen Markt bestens kennt. Die drei gründeten die neue Gesellschaft, die billigen, meist fast geschmacklosen Wein in großen Mengen als Bulk-Ware übernimmt, der nicht als Flaschenwein verkauft wird. Dieser macht die Grundlage für die Spezialisierung aus und wird dann gemäß den Analysen mit den Stoffen verfeinert, die in den Originalweinen gefunden wurden. Mit dem Ergebnis, dass selbst Fachleute kaum den Unterschied erkennen.

Die zu Beginn skeptischen Weinhändler änderten schnell ihre Meinung, als Kunden begeistert die Produkte annahmen. Die Klone werden bereits in 49 Staaten der USA verkauft, ebenso in Kanada und Puerto Rico. Europa soll der nächste Markt werden. Drohungen der Weinhersteller, den Vertrieb durch Klagen zu verhindern, sehen die Hersteller gelassen entgegen.

Jedes Lebensmittel werde heute in seiner teuren Originalform und in billigen Kopien angeboten, meint Ed Killian dazu. Was bei Käse und Wurst erlaubt sei, muss auch bei Wein möglich sein. Da Geschmack und Geruch nicht geschützt werden können, gäbe es kaum Möglichkeiten, den Verkauf der Kopien zu verbieten.

Die Diskussion um den geklonten Wein hat auch deshalb eine gewisse Aktualität, weil Unternehmen wie Cartier und Burberry heftigst kritisiert wurden, weil sie Kopien ihrer Textilien im Wert von mehreren Millionen Euro vernichteten. Wenn die Kopien qualitativ so »wertlos« seien, wie die Unternehmen behaupteten, hätten die Kleidungstücke wenigstens gespendet werden können, kritisierten einige Vertreter von Hilfsorganisationen.

Beim Wein waren die Hersteller der geklonten Weine von Beginn an vorsichtig und gaben ihnen von vornherein freche Namen wie »Knockoff« (Imitat) oder »Pickpocket« (Taschendieb). Die Preise dieser Produkte liegen bei etwa 50% der Originale.

Ari Walker, der kreative Kopf des ganzen Projekts und inzwischen einer der »meist-gehassten« Personen im Weingeschäft, sieht sich selbst als »Helfer der Armen« und im Weinklonen eine »Demokratisierung des Geschmacks«, sagte er in einem Interview. Er sehe nicht ein, warum Leute, die sich die teuren Weine nicht leisten könnten, nicht auch eine Chance bekommen sollten, diese Produkte zu genießen. Jene, die Geld hätten, könnten ja weiter die Originale kaufen.

Nach einem Bericht der TIMES

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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