FRAU ERDOĞAN

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Photo: Samantha Appleton (edited), CC BY-SA 3.0

Wer ist die Frau hinter Recep Tayyip Erdoğan?

Die Frauen von Diktatoren sind die Aushängeschilder ihrer Regimes. Manche gehen selbst in die Geschichte ein, wie die ‚lila Hexe‘ Margot Honecker oder die ‚Madonna der Armen‘ Imelda Marcos.

Ob Recep Tayyip Erdoğan historisch in eine Reihe mit den Tyrannen des 20. Jahrhunderts zu stellen ist, wird die Zukunft zeigen. Manches an Erdoğan und seiner Frau Emine erinnert jedenfalls an das rumänische Herrscherpaar Ceausescu: „Es ist schwer, von Elena Ceausescu im Singular zu sprechen. Sie und ihr Mann Nicolae waren eines dieser «Wir»-Paare, deren enge Bande niemand jemals durchblickt.“ (NZZ). Dasselbe ließe sich auch über Emine Erdoğan sagen.

Wie sich die Frau des AKP-Führers nach dessen fulminantem Wahlsieg 2002 sittsam und bescheiden an der Seite ihres Mannes zeigte, Haare und Hals nach orthodox-islamischer Sitte mit dem Hidschāb bedeckt, hatte so gar nichts mit den türkischen Frauen zu tun, die ich bis dahin kennengelernt hatte.

Anfang der 1990er Jahre machte ich Urlaub bei Freunden in Aktur, einem Badeort an der türkischen Riviera nahe Bodrum. Die kleine Siedlung war eine Gated Community, in der die obere türkische Mittelschicht ihre Ferien verbrachte; Ärzte, Professoren, Rechtsanwälte, Geschäftsleute. Und wenn der damalige Präsident Turgut Özal schwimmen ging, sah man von der Terrasse einen kleinen Punkt im Meer inmitten eines Kreises aus anderen kleinen Punkten, die im gleichen Abstand durchs tiefblaue Wasser glitten. Der Anblick entbehrte nicht einer gewissen Komik, aber Personenschutz endet eben nicht am Strand.

Natürlich trug keine einzige Frau Kopftuch. Dieses türkische Bildungsbürgertum unterschied sich nicht von dem europäischer Länder. Die gleichen Gespräche, die Weine aus Italien, die aufmüpfigen Teenager, junge Mädchen, die sich abends am Strand mit ihren Burschen trafen und nachts mit geröteten Wangen nach Hause kamen, leicht verschämt und verspätet.

Irritierend für den Besucher aus dem egalitären Österreich war nur die unverhohlene Verachtung, die der Unterschicht entgegenschlug. Gebildet bedeutete gleichzeitig säkular, ungebildet hieß immer auch gläubig. „Niemand von uns versteht, warum ihr die ganzen Analphabeten aus Anatolien bei euch aufnehmt“, sagte mir ein Zahnarzt aus Ankara, nachdem er eine offensichtlich einfache Familie kurz und unmissverständlich angewiesen hatte, den Tisch in einem Ausflugslokal zu räumen, um Platz für Familie und Gäste zu schaffen. „Die machen nur Probleme, niemand hier will mit diesem Abschaum was zu tun haben.“

Wenig später wurde Recep Tayyip Erdoğan überraschend Oberbürgermeister von Istanbul. Er war der Kandidat dieses „Abschaums“, ein ausgebildeter Imam, der Hoffnungsträger der Ungebildeten, der Mann des Volkes. Und seine Frau wurde zur Bannerträgerin für die Re-Islamisierung der Türkei.

Bannerträgerin des Islamismus

Emine Erdoğan wurde 1955 in Istanbul als fünftes Kind und einzige Tochter einer arabischstämmigen Familie in einfachen Verhältnissen geboren. Im Alter von 15 Jahren zwang sie ihr ältester Bruder unters Kopftuch. „Sie schloss sich in ihr Zimmer ein und weinte“, erzählte Hasan Gülbaran später der Zeitung ‚Milliyet‘.

Dessen ungeachtet engagierte sich Emine schon früh für islamistische Politik. Ob sie einen regulären Schulabschluss hat, ist umstritten. Eine Universität konnte sie als Kopftuchträgerin in der damals noch streng laizistischen Türkei ohnehin nicht besuchen.

Recep und Emine teilten die gleichen Ansichten und engagierten sich unabhängig voneinander in der vom ersten islamistischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan gegründeten Nationalen Heilspartei (MSP), die später verboten wurde, und setzen ihre Laufbahn in deren Nachfolgerinnen Wohlfahrtspartei (RP) und Tugendpartei (FP) fort. Die MSP war Teil der Millî-Görüş-Bewegung, in der man sich unter anderem mit der Frage beschäftigte, ob Frauen mit Kopftuch und langem Mantel wohl ausreichend verhüllt seien.

Ihren späteren Mann lernte Emine 1977 bei einer Wahlveranstaltung in Istanbul kennen, wo der damalige Jugendführer der MSP Gedichte vortrug. Vor der Heirat musste das junge Paar den massiven Widerstand von Receps Mutter überwinden, die ihm bereits eine andere Braut ausgesucht hatte: „ein mit dem schwarzen Tschador verschleiertes Mädchen von der Schwarzmeerküste“. 1978 heirateten die beiden.

Obwohl Emine nach außen hin unauffällig agierte, hatte sie einen bedeutenden Anteil am politischen Aufstieg ihres Mannes. Ihr Engagement in der von ihr mitgegründeten Frauenorganisation der Wohlfahrtspartei war ein wesentlicher Faktor bei der Wahl Erdoğans zum Oberbürgermeister von Istanbul. Bis heute tritt Emine vor allem als Schirmherrin von Wohltätigkeitsveranstaltungen auf und flankiert damit die politischen Vorhaben ihres Mannes.

Trotz des überragenden Wahlsiegs seiner Partei AKP konnte Erdoğan wegen eines aus einer Vorstrafe resultierenden Politikverbots 2002 noch nicht selbst Ministerpräsident werden. Daher übernahm sein Stellvertreter und enger Vertrauter Abdullah Gül bis 2003 das Amt.

Von da an bildete dessen Frau Hayrünnisa zusammen mit Emine die weibliche Doppelspitze des türkischen Islamismus.

In der laizistisch verfassten Türkei stellten zwei Hidschāb-Trägerinnen an der Seite der obersten Staatsspitzen einen wegweisenden Tabubruch dar. Anfangs durften Emine und Hayrünnisa mit ihren Kopftüchern nicht einmal ein öffentliches Gebäude betreten. Seither wurden die Verbote Schritt für Schritt aufgehoben und der Hidschāb öffentlich salonfähig gemacht.

Heute ist Emine , die als einflussreichste Präsidentengattin in der Geschichte der Türkei gilt, Vorbild für viele Türkinnen. Und das Kopftuch, vor 15 Jahren noch verboten und geschmäht, wird in ganz Europa zum identitären Abzeichen.

Internationale Aufmerksamkeit fand die Präsidentengattin 2016, als sie in Ankara ein Plädoyer für die osmanische Lebensweise hielt: „Der Harem war eine Schule für Mitglieder der osmanischen Dynastie und eine Lehreinrichtung, in der Frauen auf das Leben vorbereitet wurden.“

Hinter der religiös-bescheidenen Fassade teilt Emine den luxuriösen Lebensstil ihres Mannes. Immer wieder gelangen Meldungen von ausgedehnten Shoppingtouren im Ausland an die Öffentlichkeit. Emine liebt Schmuck und Antiquitäten und lässt im 1000-Zimmer Palast, in dem allein die Teppiche mehr als 8 Millionen Euro kosteten, nur Weissen Tee aus der Provinz Rize servieren, der pro Kilo über 1.800 Euro kostet. Die nicht gerade für zurückhaltende Formulierungen bekannte Daily Mail schreibt, der Palast würde dermaßen vor Gold triefen, „dass sogar Saddam errötet wäre.“

Damit schließt sich der Kreis zum ehemaligen Herrscherpaar aus Rumänien. „Elena besaß bald ein ganzes Goldbesteck-Service von Tiffany und Wandschränke voller Leopardenpelzmäntel und diamantbesetzter Schuhe. Außerdem liebte sie Gemälde mit röhrenden Hirschen und goldene Wasserhähne in Form von Schwänen. In Bukarest ließ das Herrscherpaar schließlich noch ein ihnen angemessenes Heim aus dem Boden stampfen: 350 000 Quadratmeter Wohnfläche, 7000 Räume, manche groß wie ein Fußballfeld.“

Ihr Lebensstil, den das türkische Volk finanziert, entlarvt die reine islamische Moral, die Emine und ihr Mann vor sich hertragen, als bloße Bigotterie. Was sie von den Ceausescus unterscheidet: die Ceausescus waren dumm. Die Geschichte wird zeigen, ob das die Erdoğans vor einem ähnlichen Ende schützt.

Zuerst erschienen auf MENA-WATCH

Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.