FAULHEIT GEGEN ROBOTER

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Wenn der Unterschied zwischen Mensch und Maschine nur mehr in Faulheit besteht

Bots nennt man Social Media Accounts, die durch eine Software kontrolliert werden statt durch Menschen und in der modernen Kommunikation eine immer größere Rolle spielen. Mit einem enormen Aufwand versuchen Betreiber der unterschiedlichen Social-Media- Seiten Programme zu entwickeln, die rechtzeitig Bots erkennen und Manipulationen mit tausenden von Accounts, die falsche Meldungen verbreiten, verhindern. 

Bisher haben sich Forscher fast ausschließlich auf technische Möglichkeiten konzentriert, ›Fake Accounts‹ zu identifizieren. Das Verhalten der Menschen im Laufe einer Kommunikation wurde weitgehend ignoriert und Beobachtungen von Verhaltenswissenschaftlern übergangen. Doch in der nicht endenden Diskussion um den bevorstehenden Kampf ›Mensch gegen Maschine‹ haben Wissenschaftler in Zeiten der Corona-Krise eine neue – vielleicht auch nicht so neue – aber jedenfalls wirkungsvolle Waffe entdeckt: Die Faulheit. 

Ein Team von Forschern veröffentlichte in der Zeitschrift ›Frontiers in Physics‹ eine Untersuchung, wie die Faulheit im Laufe eines definierten Zeitraums das Verhalten des Menschen beeinflusst – und ihn von der Maschine unterscheidet. In den Bereichen Social Media hat sich die computer-gesteuerte Kommunikation derart schnell entwickelt, dass es immer schwieriger wird, ein programmiertes von einem menschlichen Verhalten zu unterscheiden. Perfekte Antworten, interessante und ideenreiche Diskussionsbeiträge und oft auf den einzelnen Leser zugeschnittene Reaktionen von Computern können immer schwerer von realen menschlichen Beiträgen unterschieden werden. 

Menschen beginnen eine Konversation wie Computer, versuchen mit überzeugenden Argumenten zu beeindrucken, probieren es mit Zynismus, Aggression oder Freundlichkeit, und in dieser Anfangsphase eines Dialogs können die Antworten eines geschickt programmierten Computers von denen der Menschen nicht unterschieden werden. Es ist also auch für den Menschen nicht erkennbar, wer ihm/ihr antwortet. 

Je länger der Kontakt, das Gespräch, der Streit oder auch die freundliche Auseinandersetzung allerdings dauert, desto unberechenbarer verändert sich das Verhalten der Menschen und damit auch der Unterscheid zur Maschine: Der Mensch wird einfach müde und faul. Dies hat nicht nur einen Einfluss auf die Häufigkeit der Reaktion des Menschen, sondern auch auf den Inhalt. Mit der Müdigkeit und Faulheit kommt oft auch eine gewisse Freundlichkeit und Entschärfung der Argumentation. Ein Verhalten, das der Computer weder besitzt noch kalkulieren kann.

Emilio Ferrara von der ›University of Southern California‹ meint, dass die wichtigste Quelle für die Programmierung von Computern das Verhalten der Menschen auf Social Media sei. Die Reaktionen der Menschen in den verschiedensten Situationen würden bis zum kleinsten Detail untersucht und bei der Programmierung von Software berücksichtigt werden. Selbst das Verhalten in verschiedenen emotionalen Situationen sei mehr und mehr kopierbar, und in vielen Studien konnten Menschen nicht mehr erkennen, ob die Antworten von einem Computer oder einem anderen Menschen kamen.

Wenn da nicht die Faulheit wäre und die damit verbundene veränderte Stimmungslage etwa auf der Ebene ›jetzt hab ich keine Lust mehr zu streiten‹. Hier scheitert der Computer, weil er auf Perfektion programmiert ist und mit einer plötzlichen Faulheit oder Lustlosigkeit des Gesprächspartners nichts anfangen kann. Er hämmert weiter mit perfekten Reaktionen, obwohl die andere Seite vielleicht längst statt politischer Argumente ein Bild zurückschickt mit der Katze, die neben dem Computer liegt. 

Längst haben Programmierer gemeinsam mit Psychologen und Medizinern Menschen mit ähnlichen Charakteren in Gruppen eingeteilt und damit typische Verhaltensweisen zusammengefasst, auf die Computer entsprechend reagieren können. Erst die Ähnlichkeiten der Menschen macht dies möglich, um mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine treffende Reaktion der Maschine vorbereiten zu können. Wir unterscheiden uns zu einem erschreckend geringen Ausmaß von anderen, und das ermöglicht den Programmierern, Maschinen zu entwickeln, die uns in einer Social-Media-Kommunikation mehr und mehr ersetzen könnten.

Wenn da nicht diese verdammte Müdigkeit und Faulheit wäre, die Programmierer immer noch zur Verzweiflung treibt. In welche Richtung Menschen innerhalb einer Gruppe mit ähnlichen Verhaltensweisen im ›Normalzustand‹ sich im Zustand der Faulheit entwickeln, ist nicht berechenbar und entzieht sich der Logik des Verhaltens in der Normalität. 

Die Wissenschaftler testeten immer wieder Menschen, die nicht wussten, ob sie sich mit Computern unterhalten oder realen Gesprächspartnern. Die Sache ging so lange gut, so lange es eine geradlinige Diskussion über ein bestimmtes Thema, Ereignis oder eine Theorie war. Verloren die Menschen das Interesse an dem Dialog, fingen an Witze zu machen, wurden unernst, unkonzentriert oder schickten Bilder vom Sandwich, das sie gerade essen, verzweifelten die Computer. Erst in diesen Momenten der Kommunikation erkannten Menschen, dass sie sich mit Maschinen unterhalten haben.

Als nächsten Schritt, scherzte einer der Wissenschaftler der Gruppe, würde man sich damit beschäftigen, wie man Maschinen beibringt, dass sie müde und faul werden. 


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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