Elisabeth die Große

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Mit wenigen Strichen zeichnet der Karikaturist Clay Bennett die Gemütsverfassung eines ganzen Landes: Ein Corgi blickt traurig nach hinten. An seinem Halsband trägt er eine Hundemarke mit der Inschrift »UK«, die Leine liegt am Boden. Am Ende der Leine ist niemand. Sein Blick geht ins Leere. Er ist allein. 

Elisabeth II. war bereits Königin, als ich geboren wurde. Sie war einfach da, immer schon, und dass sie nicht mehr da ist, fühlt sich nicht richtig an. Auch nicht für mich, der ich weder Monarchist noch Brite bin und dem die Welt der Klatschmagazine und selbsternannten »Adelsexperten« völlig fremd ist. Denn auch ohne Klatsch und aus der Ferne des Kontinents war offensichtlich, welche Ausnahmeescheinung Queen Elisabeth zeitlebens war. 

Sie war die am längsten dienende Monarchin des Landes – und diese Formulierung ist nicht zufällig gewählt, denn kein Wort beschreibt ihre über siebzig Jahre dauernde Regentschaft besser als »dienen«. Sie war ein Vorbild an Pflichtbewusstsein, Disziplin, Humor und Bescheidenheit. Sie war der Magnet, der das Vereinigte Königreich zusammenhielt.

Wie keine andere konnte sie politische Botschaften subtil zum Ausdruck bringen; gerne auch durch ihre Kleidung, die sie niemals zufällig wählte. Dazu nur zwei Begebenheiten aus der jüngeren Vergangenheit: Als die Königin, die den Brexit nie befürwortet hat, 2017 das Parlament eröffnete, um die Pläne der Regierung für die nächsten zwei Jahre zu erläutern, stand der Brexit ganz oben auf der Tagesordnung – und der Hut der Queen war im Design der EU-Flagge gehalten. Im Jahr darauf besuchte Donald Trump das Vereinigte Königreich – während sie ihn willkommen hieß, trug sie eine grüne Brosche, die ihr die Obamas geschenkt hatten.

Unvergesslich auch ein Besuch des damaligen Kronprinzen von Saudi-Arabien auf Schloss Balmoral in Schottland im Jahr 1998: Abdullah, der spätere König, akzeptierte die Einladung der Queen, das Anwesen zu besichtigen, und nahm auf dem Beifahrersitz ihres Land Rovers Platz. Er dürfte wohl mehr als erstaunt gewesen sein, als sich die Queen höchstpersönlich hinters Steuer setzte und dem Rest der Gruppe auf und davon fuhr. In Saudi-Arabien war Frauen das Autofahren damals noch verboten, vermutlich war es das erste und einzige Mal, dass Abdullah von einer Frau chauffiert worden ist. Als sie nach Balmoral zurückkehrten, sagte die Königin zu Lord Robertson, dem damaligen Außenminister: »Ich glaube, er dachte, ich sei zu schnell gefahren.«

Ein Land verneigt sich

In einer Sondersitzung des Parlaments traten gegenwärtige und ehemalige Premierminister und Parteivorsitzende mit persönlichen Geschichten über die verstorbene Königin vor das Unterhaus. Ex-Premier Boris Johnson erzählte in einer brillanten und emotionalen Rede, wie er vor ein paar Monaten ein Interview mit der BBC abbrechen musste, in dem er über die Queen in Vergangenheitsform sprechen sollte, weil er dabei von Traurigkeit überwältigt worden sei. Nun würden Millionen versuchen zu verstehen, warum sie »dieses tiefe, persönliche und fast familiäre Gefühl des Verlustes« empfinden: 

»Vielleicht liegt es zum Teil daran, dass sie immer ein unveränderlicher menschlicher Bezugspunkt im britischen Leben war. Die Person, die – allen Umfragen zufolge – am häufigsten in unseren Träumen vorkommt. Sie strahlte so unveränderlich wie der Polarstern, sodass wir uns vielleicht im Glauben wiegen ließen, sie könnte in gewisser Weise ewig sein, aber ich glaube, unser Schock ist heute noch größer, weil wir mit ihrem Tod das ganze Ausmaß dessen begreifen, was sie für uns alle getan hat. … 

Sie war die letzte lebende Person des britischen öffentlichen Lebens, die im Zweiten Weltkrieg in Uniform gedient hatte. Sie war das erste weibliche Mitglied der königlichen Familie seit tausend Jahren, das Vollzeit in den Streitkräften gedient hatte. … Sie hat der Welt nicht nur gezeigt, wie man ein Volk regiert, sie hat der Welt auch gezeigt, wie man gibt, wie man liebt und wie man dient. …

Und es waren diese Unbeugsamkeit, dieser Humor, diese Arbeitsmoral und dieser Sinn für Geschichte, die sie zusammen zu Elisabeth der Großen machten.«

God Save the King

Weniger pathetisch betrachtet mag die Lücke, die sie hinterlässt, auch deshalb so groß erscheinen, weil ihr Tod in eine höchst unsichere Zeit fällt. Ganz Europa ist von einer Serie von Krisen geschüttelt, das Vereinigte Königreich ist keine Ausnahme. Die Folgen der Pandemie sind noch immer nicht überwunden, die Energiepreise explodieren. Die Inflation stieg im Juli auf über zehn Prozent, die Citibank UK erwartet für Anfang nächsten Jahres einen Anstieg auf über achtzehn Prozent. 

Dazu kommen politische Probleme mit dem Brexit-Abkommen, das für Nordirland besondere Zollregeln vorsieht, um die Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland offen zu halten. Faktisch wurde damit in der Irischen See eine Zollgrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs errichtet, die den Warenaustausch behindert und in Großbritannien äußerst unpopulär ist. Die von Premierministerin Liz Truss angestrebte Änderung des Abkommens stößt auf harsche Ablehnung durch die EU, auch die USA haben die Briten vor einseitigen Änderungen gewarnt: Jeder Versuch, das Nordirland-Abkommen zu unterlaufen, werde sich negativ auf die Gespräche über ein Handelsabkommen zwischen Großbritannien und den USA auswirken.

Von den 56 Staaten des Commonwealth of Nations haben fünfzehn den britischen Monarchen als Staatsoberhaupt. Wenn Australien, Antigua oder andere dieser fünfzehn so genannten Realms eine Republik werden und damit automatisch aus dem Commonwealth ausscheiden, ändert sich auf den ersten Blick nur wenig: der unmittelbar darauffolgende Antrag auf Wiederaufnahme wird automatisch gewährt. Aber wie eng sich die diplomatischen Beziehungen der Commonwealth-Staaten gestalten, hängt nicht zuletzt von der Popularität des britischen Monarchen ab.

Auf dem Kontinent versteht man die Bedeutung der konstitutionellen Monarchie für Großbritannien oft nur schwer, zumal die politische Macht beim Parlament liegt. Aber für die Mehrzahl der Briten verkörperte die Queen in all ihren Tugenden Kontinuität – und zwar über die Dauer des britischen Empire hinaus. Sie war ein Anker der Stabilität. Die Zentrifugalkräfte innerhalb des Vereinigten Königreichs und des Commonwealth werden nun stärker werden. 

Großbritannien, Europa und dem ganzen Westen ist zu wünschen, dass King Charles III. die Lücke schließen kann, die seine Mutter hinterlässt. God Save the King. 

 Zuerst erschienen im Pragmaticus.


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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.