EINFALT IN DER VIELHEIT

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Die Langeweile ideologischer Uniformiertheit

Nach der heftigen Reaktion auf das Interview in der ZiB2 mit dem Spitzenkandidat der FPÖ für die EU-Wahl war es ein paar Tage ruhiger bis die mediale Bombe um HC Strache einschlug. 

Nach dem interview wurde Österreich mit der Kritik konfrontiert, die Pressefreiheit sei in Gefahr und die Demokratie würde sich verändern in Richtung einer autoritären Regierungsform. Dann kam die Veröffentlichung des Videos aus Ibiza und die Presse feierte plötzlich sich selbst, als seien sie die »Aufdecker« und nicht das offenbar professionelle Team, das ihnen die Unterlagen einfach zugesteckt hatte.

Weniger inhaltlich als strukturell erleben wir diese politisch unruhigen Zeiten auch als Musterbeispiele für moderne Kommunikation und Social-Media-Vernetzung. Einer der bekanntesten ORF-Journalisten verbreitet seine Ansichten und die seiner Unterstützer am liebsten auf auf Twitter. Er hat dort mehr als 400 000 Mitleser und organisiert diesen Fanklub wie ein PR-Manager eines Fußballvereins mit begeisterten Nachrichten über sich selbst, kritischen Meinungen über seine Kritiker und der Wiedergabe von unterstützenden Beiträgen. Er ist der Star auf seiner eigenen Twitter-Bühne und wie bei einem Konzert gibt es bei entsprechendem Applaus auch eine Zugabe nach der anderen. Verlinkt ist seine Twitter-Blase mit anderen Journalisten, die ebenfalls tausende Mitleser haben und so kann ein einziger Satz innerhalb weniger Minuten mehr Menschen erreichen als eine Nachrichtensendung im Fernsehen oder ein Kommentar in einer Tageszeitung.

An dieser neuen Entwicklung der Informationstechnologie wäre nichts auszusetzen, sich dagegen zu wehren versuchen oder darüber zu jammern würde den Kritiker zurückversetzen in die Reihen der Maschinenstürmer in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Doch es einfach nur hinzunehmen wie den Wetterbericht, wäre eine Form der Resignation.

Das Problem der Twitter-Lawinen mit den folgsamen Reaktionen der Fangemeinde ist die inhaltlich einfältige Wiederholung ein und der selben Behauptung und des selben Arguments, die an das infantile Zeremoniell in einem Kindergarten erinnert, in dem die braven Kinder, die richtig antworten, mit goldenen Sternchen am T-Shirt gefeiert werden. Hier organisiert eine angeblich intellektuelle Elite der Gesellschaft einen Propagandazirkus, der jeden Zweifel und jeden Widerspruch erstickt, versickern und verstummen läßt. Nicht durch Zensur, denn jeder kann auf Twitter seine kritische Reaktion schreiben, sondern durch die erdrückende Masse und Lautstärke des zustimmenden Applaus, wie in einem Stadion, wenn zwischen den achtzigtausend brüllenden Fans der einen Mannschaft ein paar Hundert das gegnerische Team unterstützen würden. Ignoriert werden ist noch der höfliche Umgang mit Zweiflern, meist reagiert einer der Mitleser aus der Fangemeinde mit entsprechendem Zynismus oder einem Wutausbruch.

Die Chance, mit Hilfe tausender Menschen, die man so erreicht, wenigstens ein paar unterschiedliche und widersprüchliche Meinungen zu verbreiten wird vertan nach dem Motto: »Einfalt in der Vielheit statt Vielfalt in der Einheit«. Der Sinn ist nicht der Dialog, sondern der Applaus für einen einheitlichen Meinungsbrei, der nicht nur eine bestimmte Ansicht vertritt, sondern auch die moralisch zweifelsfreie.

Störende Zwischenrufe versickern im Jubel der Rechtfertigung. Unterschiedliche  Meinungen gehen verloren, weil sie gekontert werden mit einer inszenierten Aufregung von hunderten Reaktionen. Aus einer möglichen kritischen Bühne mit interessanter und notwendiger Auseinandersetzung über wichtige Themen wie Pressefreiheit, Demokratieentwicklung, Flüchtlingsprobleme und moderne Kunst wird ein Laientheater mit einem perfekt eingestimmten Chor, das jeden Abend die gleiche Vorstellung vor dem gleichen Publikum bietet. Und das jeden Abend begeistert jubelt. Das Ergebnis ist die unendliche Langweile einer ideologisch-uniformierten Regelmäßigkeit, die sich liest wie ein Eintopf schmeckt, der Tag für Tag mit den gleichen Produkten gekocht wird.

Zuerst erschienen im FAZIT Magazin


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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