KLEINBÜRGER

K

Kleinkariert

Trumps Versuch, anhand nationalkonservativer Thematik und mit manchem Verständnis für nationalistische Strömungen einen neuen Wertekanon zu etablieren, muss scheitern. So nötig es wäre, die links-intellektuelle Hegemonie mit ihrer instrumentalisierenden Hysterie mindestens aufzuweichen: Was die bürgerliche Mitte über Jahrzehnte inhaltlich versäumt und an Wertegewissheit eingebüßt hat, kann im rechtsnationalen Diskurs nicht zurückgeholt werden. Dessen kleinbürgerliche, revisionistische Dumpfheit taugt ebenso wenig wie die grün-linke, kleinbürgerliche Simulation von Bildung, Weltläufigkeit und Sozialstaatlichkeit. Der amerikanische Präsident scheint durch sich selbst den Beweis dafür antreten zu wollen. Er wirkt zu kleinkariert, um Amerika wieder groß zu machen.

Das große Wiederkäuen

Es kommt zu kaum einer inhaltlichen Auseinandersetzung mehr. Umso aufgeregter wird die Imitation substantiellen Diskutierens zelebriert. Und so trifft in Talkshows und Parlamenten, an Stammtischen und selbst innerhalb von Familien lediglich schematische Argumentation auf argumentative Schematik. Man tauscht bestenfalls Argumenthülsen aus oder wirft sie sich an den Kopf, je nachdem. Es ist ein allgemeines Wiederkäuen und Nachbeten im Als-ob-Modus, ein totes Aufwärmen argumentativen Mikrowellen-Fastfoods. Warum das so ist? In der unterwürfigen Welt der nach oben schielenden Kleinbürger zählt der Gestus mehr als die Tat, das Behaupten mehr als der Grund. Im devoten Nachahmen erspart man sich die aufreibende Auseinandersetzung mit dem Eigentlichen.

Zugehörigkeit

Die Ansichten und Einsichten der allermeisten Menschen waren noch nie selbst verfertigt, sondern entstammten und entstammen vorgefundenen Sphären: einstmals den Biosphären von Familien und kleinreligiösen Verbänden, inzwischen den Meinungshabitaten politisch-sozialer Prägung. Das private Element früherer Zugehörigkeit ließ gelegentlich noch den Impulsübersprung von Mensch zu Mensch zu. In den geschlossenen Denkräumen der aktuellen Diskurssysteme ist man immun gegen andere, deren Ansichten nur als Angriff aufs eigene System zu interpretieren sind. Zum Impulsübersprung kann es darum nicht mehr kommen. Die aktuellen Diskurssysteme sind ihrer Natur nach inzestuös, sie leben vom Zirkelschluss, der Austausch von Ansichten und Einsichten gerät zum Spiel an der Denkkonsole.

Kompass

In der geistlosen Welt der Kleinbürger ist alles geregelt: Windräder gut, Diesel böse, Rauchen schlecht, Darmspiegelung gesund – egal, was dafür oder dagegen spricht. Außer der Wind weht aus der Gegenrichtung, dann ist der Kleinbürger rasch umgepolt. Seine Kompassnadel zittert aus Furcht, den Tag zu verpassen, an dem es soweit ist.

Haltungsschäden

Die Welt der Kleinbürger ist gekennzeichnet durch eine qualvolle Äquidistanz zu Lebensfreude und Todesfurcht, durch ein lustvolles Verhängen im Moderaten, Konditionierten, Diplomierten. Von allem etwas gehört zu haben, von allem etwas zu wissen, aber nichts richtig, dazu ein unbegreifliches Wohlbehagen im Halbverstandenen, das Aufstieg verheißt und den Abstand nach unten aushärten soll: Das Kleinbürgertum ist der Humus, auf dem die Mistblumen der Gegenwart gedeihen.

Historisches, Unhistorisches

Das Kleinbürgertum ist der eigentliche Sieger der großen Kriege des 20. Jahrhunderts. Das Bürgertum und die Arbeiterschaft mit ihren viel verlässlicheren Wertewelten gingen darin oder bald danach unter. Die überlebende Kleinbürgerlichkeit spiegelt sich längst auch in den politischen Verhältnissen wider, sie schlägt sich im politischen Personal und in seinen Handlungen nieder. Daher die Lähmung der Gegenwart, die Zukunft und Vergangenheit nicht zu unterscheiden vermag.

Über den Autor / die Autorin

Alexander Gusovius

Alexander Hans Gusovius ist Schriftsteller und Philosoph. Seine Grundüberzeugung: „Nichts geschieht zufällig, ohne deshalb vorherbestimmt zu sein.“ Seine Grundhaltung: „Freiheit ist das höchste Gut von allen.“ Er ist Gründungsmitglied der Künstlergruppe „Schwarzer Hut“ und mit dem Fußball-Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim verbunden. Seine Artikel erschienen bisher in der WeLT, im Schweizer Monat, in MAXIM und in Novo Argumente. Zu seinen Büchern geht es auf www.alexander-gusovius.de.