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Die besorgte Gattin

Kommen Sie weiter Frau M., setzen Sie sich, wie kann ich Ihnen helfen?

Danke Herr Doktor für den kurzfristigen Termin, aber ich weiß mir nicht mehr zu helfen.

Ist doch selbstverständlich. Sie sind doch seit Jahren meine Patientin. Worum geht es denn?

Es geht nicht um mich, es ist alles in Ordnung mit mir, na, vielleicht die Beine, die sind manchmal so schwer beim Stiegen steigen, aber was rede ich, es geht nicht um mich, wie ich schon sagte, es geht um meinen Mann!

Was ist los mit ihm, und warum haben Sie ihn nicht mitgebracht? Ich habe ihn doch erst letzte Woche untersucht!

Irgend etwas stimmt nicht mit ihm. Er hat extrem unregelmäßigen Blutdruck und sein Puls rast wie verrückt, und dann wieder so langsam, dass ich mir Sorgen mache!

Das kann ich mir nicht vorstellen, wie gesagt, er war doch letzte Woche bei mir hier und alles schien normal.

Hier, schauen Sie, ich habe alles auf meinem iPhone. Ich schenkte ihm zum Geburtstag ein Fit-Armband, damit er sich selbst kontrollieren kann. Das Armband kann man mit einer App verbinden, jetzt sehe ich auf meinem Handy genau seine Bewegungen und seinen Puls.

Lassen Sie mich mal sehen, aha, und wie funktioniert das?

Hier sehen sie seine Schritte, seinen Herzschlag, sogar seine Schlafzonen, und die Kalorien, der er verbrennt.

Was für Schlafzonen?

Wie lange er im Leicht-, Tief-, oder REM-Schlaf verweilt.

Aha, interessant…ja, und warum sind Sie hier heute, wo ist das Problem?

Schauen Sie, Herr Doktor Ich habe mit einem Mann vereinbart, dass er an den Tagen, an dem ich in meinen Bridge-Klub gehe, seine Übungen macht. Da ist er den ganzen Tag allein zu Haus und braucht sich nicht zu schämen vor mir. Er wollte das nie machen, wenn ich zu Hause war und meinte, er käme sich einfach lächerlich vor. Jetzt kann er Stiegen steigen, Liegestütze machen und auch seine Kalorienverbrennung kontrollieren, und keiner beobachtet ihn.

Und? Macht er das?

Ja, hier ist das Problem, deshalb bin ich hier, er übertreibt einfach! Das kann doch nicht gesund sein, was er macht. Hat er sich früher nicht von der Couch bewegt, rennt er nun im Haus herum, Stiegen rauf, Stiegen runter, von einem Zimmer ins andere und essen tut er überhaupt nichts! Einmal wollte er sogar über den Dachboden aufs Dach klettern, hat es dann doch nicht getan! Ich glaube, das alles ist meine Schuld, ich habe ihn mit meinen Warnungen, dass er mehr Bewegung machen müsse, und dem Armband in den Wahnsinn getrieben.

Na, na, beruhigen Sie sich, das wird schon nicht so schlimm sein. Macht er das jeden Tag?

Nein, nur einmal pro Woche, die anderen Tage ist er so erschöpft, dass er sich kaum bewegt, sitzt herum und spricht kaum. Eines muss ich allerdings sagen, an den Tagen, an denen er Sport macht, schläft er besonders gut. Hier sehen Sie, der REM-Effekt, sensationell!

Ja, ja, ich sehe schon… geht er denn an die frische Luft, oder macht er all die Übungen im Haus?

Das kommt noch dazu, er läuft im Garten auf und ab, einmal hab sich sogar auf dem App entdeckt, dass er verdächtig lang vor einem Baum stand, vielleicht hat er sogar versucht, hinauf zu klettern, wer weiß schon, was ihm noch alles einfällt! Mit 71 Jahren! Das muss man sich einmal vorstellen, der ist doch verrückt geworden!

Das mit dem Baum, das können Sie auch sehen?

Natürlich, mit dem GPS-Tracker, der lügt nicht.

Vielleicht wollte er nur ein paar Äpfel pflücken.

Natürlich glauben Sie mir nicht, aber die Elektronik lügt nicht, ich sprach mit einem Vertreter des Armbands, da gibt es eine Hotline, wo man anrufen kann. Die erklärten mir, ein Irrtum ist hier ausgeschlossen. Außerdem habe ich sein Verhalten im Internet nachgelesen. Das ist die typische Todesangst, steht dort.

Ach, das Internet, mein schärfster Konkurrent…

Wie meinen Sie das?

Nichts weiter, ist schon in Ordnung… aber er wird sich verletzen, wenn er so weitermacht. Schicken Sie ihn doch einmal zu mir, ich spreche mit ihm.

Er sitzt draußen, er ist mit mir mitgekommen, ich wollte nur vorher mit Ihnen reden.

Na, dann holen Sie ihn doch herein!

Sprechen Sie mit ihm allein, ich glaube, vor mir wird er nicht ehrlich sagen, was los ist. Noch dazu habe ich ihn so sekkiert, dass er endlich mit seinen Übungen beginnt, und jetzt beklage ich mich, dass er es übertreibt. Ich schick ihn gleich herein und warte draußen.

Wie Sie meinen, das ist kein Problem…
Herr M, ich freue mich, dass Sie wieder hier in meiner Ordination sind.

Danke, aber ich war doch erst letzte Woche hier, worum geht es? Warum wollte meine Frau mit Ihnen alleine sprechen? Ist sie krank?

Sie macht sich Sorgen um Sie.

Um mich? Warum um mich?

Sie meint, Sie würden es übertreiben mit der Bewegung, und fürchtet, Sie könnten sich verletzen.

Sie wollte doch, dass ich einmal pro Woche trainiere und mich bewege, Stiegen rauf und runter laufe, viel Obst esse, und das Bier weglasse und die Wurstsemmeln.

Das ist ja wichtig für Sie, aber, na ja, ich weiß nicht, ob ich es Ihnen verraten darf, aber sie kontrolliert Sie über ihr Handy. Sie hat Ihr Fitness-Armband mit ihrem eigenen Telefon verbunden und kennt jetzt alle Ihre Bewegungen.

Ha! Und Sie glauben, ich hab‘ das nicht bemerkt! Darum binde ich auch jeden Mittwoch, wenn sie zum Bridge geht, der Katze das Armband um. Dann geh‘ ich ins Wirtshaus und treffe meine Freunde zu einem Glas Bier und abends schlafe ich wie ein Bär.

 

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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