DIE BRÜCKE DER BENETTONS

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Photo: Salvatore Fabbrizio, CC BY-SA 4.0

Die Brücke und die Multikultimilliardäre

Von Petra Reski

In diesen unruhigen Zeiten sind Gewissheiten tröstlich. Etwa dass der (die? das?) »Narrativ« von der grundguten Multikultimilliardärsdynastie Benetton, die nach dem Einsturz der Morandi-Brücke in Genua von den bösen, hässlichen italienischen Populisten angegriffen werden, pünktlich und in Lichtgeschwindigkeit auch in den deutschen Medien eingetroffen ist. Hätte mir sonst Sorgen gemacht.

Die Italienanalyse der deutschen Qualitätsmedien

Der Geschwindigkeitsspezialpreis geht an Tobias Piller, Wirtschaftskorrespondent der FAZ, der schon am Tag des Unglücks nicht nur wusste, dass die Brücke immer schon ein sensibler Patient gewesen sei – sondern auch, dass der Zusammenbruch letztlich die Schuld der Fünfsterne-Bewegung sei, bekannt für ihre Blockade großer Infrastrukturprojekte.

Da wollte sich der Spiegel auch nicht lumpen lassen und verkündete, dass »Populisten nicht schweigen können, weshalb sie Schuldige erst aus- und dann niedermachen« müssen. Nachgelegt wurde mit »Warum Italiens Regierung den Benetton-Clan anprangert«.

Allerdings wurde dabei die nicht ganz unwesentliche Information unterschlagen, dass die Benettons von Jahr zu Jahr weniger in den Erhalt der von ihnen betriebenen Autobahnen investierten – und dass der Bau der Gronda, der alternativen Autobahntrasse, die von den Fünfsternen in Genua kritisiert worden war, ein weiteres Projekt der Benettons ist. Für das der damalige Verkehrsminister Delrio der »Unternehmerdynastie«, versprach, im Gegenzug ihren Vertrag für das Betreiben der italienischen Autobahn bis 2042 zu verlängern, inklusive einer Zahlung von 6 Milliarden Euro für den Fall, dass andere Unternehmen an ihre Stelle träten. Angesichts solch rosiger Vertragsbedingungen hat man natürlich wenig Interesse am Erhalt einer alten Brücke.

Die Süddeutsche Zeitung wollte auch nicht fehlen und tönte: »Der Staat gegen die Benettons. Die populistische Regierung aus Rom attackiert die Industriellenfamilie. Sie wurde mit Mode reich, betreibt heute Autobahnen und versteht etwas von politischer Werbung« – (»Politische Werbung«, ähem)

Freundschaftliche Nachsicht

Die Unternehmerfamilie Benetton wird all diese Solidaritätsadressen genossen haben, war sie doch so geschockt, dass sie ganze zwei Tage brauchte, bis sie sich aufraffen konnte, den Toten ihre Trauer zu bekunden. By the way: In den italienischen Medien wurden die Benettons auch erst erst Tage nach dem Unglück mit ihrem Unternehmen Autostrade per l’Italia – Atlantia als Betreiber des Autobahnstücks genannt. Die Repubblica schaffte es, 11 Sonderseiten über das Unglück zu verfassen, ohne ein Mal den Namen Benetton auszusprechen. (Im Verwaltungsrat von Benettons Autobahngesellschaft Atlantia sitzt übrigens nicht zufällig eine Dame, Monica Mondardini, die auch im Verwaltungsrat von Gedi sitzt, der Pressegruppe, die Repubblica, den Espresso und La Stampa herausgibt. Kleiner Interessenkonflikt am Rande.)

Auch in den großen Nachrichtensendungen wartete man vergeblich darauf, dass der Name Benetton fiel. Was natürlich nicht erstaunt bei Medien, die (muss ich es noch mal erwähnen?) bis auf eine einzige Ausnahme alle der großen Koalition aus Forza Italia und PD nahestehen, die Italien die letzten 25 Jahre regiert hat – und mit denen die Unternehmerfamilie Benetton seit ihren Anfängen in schönster Harmonie zusammenarbeitet.

Erst Pullover, dann Palazzi

Was sich nicht nur in Venedig  niedergeschlagen hat, wo sich die Benettons die Tortenstücke aussuchen durften, weshalb Venedig auch Benettown genannt wird. Den Benettons gehört hier nicht nur die ehemalige Handelsniederlassung Fondaco dei Tedeschi, sondern auch der Bahnhof, wo auch gleich noch eine Brücke mit im Geschenkpaket enthalten war: Der »Philosophenbürgermeister« Cacciari hat die Brücke zum Benetton-Bahnhof allerdings als Geschenk des spanischen Architekten Calatrava an die Venezianer präsentiert, ein Schnäppchen für 3,6 Millionen Euro. Leider verrechnete sich der Architekt, weshalb es zu Statikproblemen kam und die Brücke die italienischen Steuerzahler am Ende 11,6 Millionen Euro kostete. Das nur so als Hintergrund.

Denn die Benettons haben im Laufe der Jahre ihre Freundschaft zu den Mächtigen gepflegt, was sich eine Zeit lang in Parteispenden niederschlug, und heute in Spenden, die Parteien nahestehenden Stiftungen zugute kommen. Übrigens hat Benetton auch keine Vorbehalte gegenüber der Lega, für dessen Regionalpräsidenten Luca Zaia Benetton im Jahr 2010 die Wahlkampfkampagne im Veneto mit dem firmeneigenen Thinktank Fabrica übernahm, was dem einstigen Spiritus Rector der Fabrica, dem Fotografen Oliviero Toscani, übrigens gar nicht gefiel.

Für die Benettons hat sich die Nähe zu den Mächtigen bestens ausgezahlt: Nicht zuletzt dadurch, dass sie die Hälfte des italienischen Autobahnnetzes betreiben, womit sie allein im letzten Jahr 3,9 Milliarden Umsatz machten, davon 2,4 Milliarden Gewinn. Kein schlechter Deal.

Der Bankautomat der Benettons

Allerdings wird der Gewinn nicht in den Erhalt oder die Modernisierung der Autobahnen gesteckt, sondern darin, den Flughafen von Nizza, Anteile am größten Betreiber des spanischen Autobahnnetzes und an der Gesellschaft zu kaufen, die den Eurotunnel betreibt: Die Autobahnen sind zum Bankautomaten der Benettons geworden.

Dies alles dank bizarrer Klauseln, die in Verträgen enthalten sind, die in den 1990er Jahren mit den Benettons geschlossen wurden, und beispielsweise bei Baustrukturen, die vor 1967 gebaut wurden, nicht vorsehen, dass der Betreiber einen Plan über die Erhaltungsmaßnahmen vorlegt. Diese Klausel trifft auf die Brücke von Genua zu. Und nicht nur das: Wenn das Autobahnteilstück kontrolliert wird, sind das Ingenieure, die vom Unternehmen selbst benannt und bezahlt werden – keine neutralen Sachverständigen. Der genaue Inhalt der Verträge zwischen den Benettons und dem italienischen Staat ist übrigens  geheim.

Okay, ich will Sie, meine hochgeschätzten Leser, nicht länger mit italienischem Bau- und Verwaltungsrecht langweilen. Ich will Sie nur darauf aufmerksam machen, dass sich die italienische Wirklichkeit nicht so schlicht verhält, wie sie in den deutschen Qualitätsmedien dargestellt wird.

Als bekannt wurde, dass den Benettons die Betreiberlizenz für ihre Autobahnen entzogen werden könnte, brach der Aktienkurs ihres Autobahnbetriebs Atlantia übrigens ein. Tja.

Zuerst erschienen bei Petra Reski.

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Über die Autorin:

Petra Reski ist Journalistin und Schriftstellerin und lebt seit 1991 in Venedig, nachdem sich ihr ein Venezianer in den Weg geworfen hat. Seitdem schreibt sie über Italien und vor allem über die Mafia, besonders über die in Deutschland, obwohl sie sich damit keine Freunde gemacht hat – was ihr jedoch Material für drei ihrer Romane geliefert hat. Sie ist Mitglied im P.E.N., liebt Spaghetti mit Tomatensoße und Basilikum und betreibt nahezu täglich anthropologische Feldforschung.
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