DENKT AN DAS LAND!

D

Neustart ohne Merkel

Chapeau FDP. Und vielen Dank.

Wir brauchen in Deutschland einen Politikwechsel. Weg von der Politik der letzten zwölf Jahre, die nicht nur die Demokratie massiv geschädigt hat, wie ein hervorragender Beitrag im Feuilleton der F.A.Z. in den letzten Wochen eindrücklich beschreibt, sondern unseren Wohlstand in einem Ausmaß vernichtet hat, der in die Billionen Euro geht. Und hinter beidem stand die Frau, die mit dem Ziel des Machterhalts jegliche Grundsätze über Bord geworfen hat und immer die kurzfristige Problemvertuschung vor die schmerzhafte Problemlösung gestellt hat.

Die Liste der Verfehlungen ist lang:

• Reformen: Während wir lauthals von anderen Staaten Reformen fordern, landet Deutschland im Reformranking der OECD auf den hinteren Plätzen. Selbst Frankreich und Italien haben mehr Reformen gemacht. Seit dem Regierungswechsel vor zwölf Jahren ruht die Politik sich auf den Reformen der Regierung Schröder aus.

• Staatsverschuldung: Während wir die „schwarze Null“ feiern, rutschen wir bei korrekter Berechnung der Staatsverschuldung immer tiefer in die roten Zahlen. Berücksichtigt man die zukünftigen Kosten der alternden Gesellschaft, so haben wir deutlich mehr Staatsschulden als das so viel gescholtene Italien.
Rente: Während Länder wie Italien in den letzten Jahren ihre Altersversorgungssysteme so reformiert haben, dass die Lasten in Zukunft geringer werden, hat unsere Regierung, geblendet von der momentan guten Konjunktur, die Lasten weiter erhöht. Stichworte: Rente mit 63, Mütterrente etc.

• Infrastruktur: Während Länder wie Frankreich kontinuierlich in die öffentliche Infrastruktur investieren, haben wir unsere für alle sichtbar an vielen Stellen verfallen lassen. Die Investitionen lagen im letzten Jahrzehnt unter denen, die für den Erhalt mindestens nötig wären. Die Regierung rechtfertigt den Investitionsstau mit den nicht vorhandenen Planungskapazitäten. Doch wurden diese zuvor aufgrund eben dieser Politik erst abgebaut.

• Schwarze Null: Während die Regierung die „schwarze Null“ als eigene Leistung verkauft, verdanken wir diese letztlich der Politik der EZB. Alleine der deutsche Staat hat dadurch in den letzten Jahren 240 Milliarden Euro an Zinsen gespart. Da ist es nun wahrlich keine politische Meisterleistung, einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren.

• Euro-Schuldenkrise: Während die deutsche Politik die EZB lauthals für ihre Geldpolitik kritisiert – obwohl sie einer der Hauptnutznießer ist – verdrängen wir gerne, dass es die verfehlte Politik des Aussitzens der Eurokrise ist, die überhaupt erst die Maßnahmen der EZB erforderlich macht. Bis heute weigert sich die deutsche Politik anzuerkennen, dass der Euro eine Fehlkonstruktion ist und zu einem enormen Anstieg der privaten und öffentlichen Verschuldung in den heutigen Krisenstaaten geführt hat. Eine Lösung setzt zwingend eine Bereinigung der Überschuldung voraus, direkt über Schuldenschnitte, indirekt über eine Rekapitalisierung des nach wie vor insolventen Bankensystems. Hinzu kommt, dass es den Krisenländern nicht gelingt, die Wettbewerbslücke gegenüber Deutschland zu schließen. Dies bedeutet entweder eine dauerhafte Transferunion ohne Hoffnung auf Besserung oder aber – was realistischer ist – eine Auflösung der Eurozone. Nur eines funktioniert auf Dauer nicht: Aussitzen.

• Exportwirtschaft: Während wir glauben, die „Hauptprofiteure des Euro“ zu sein, sind wir in Wahrheit ein Verlierer. Zunächst hat die Einführung des Euro zu einem überhöhten Kurs der D-Mark die Rezession Anfang des Jahrtausends begünstigt und damit die interne Abwertung über Lohnzurückhaltung erzwungen. Danach wurde er mehr und mehr zu einem Subventionsprogramm für die Exportindustrie, für deren Aktionäre und Mitarbeiter zulasten aller Bürger des Landes, was so lange in Ordnung wäre, wie wir dafür werthaltige Forderungen gegen das Ausland aufbauen. Dem ist aber nicht so, weshalb es ökonomisch auf dasselbe hinausliefe, wenn wir unsere Autos verschenkten.

• Bürge und Geldgeber: Während wir glauben, in Europa die Richtung vorzugeben, werden wir mit jedem Tag zunehmend erpressbar. Die TARGET2-Forderungen der Bundesbank befinden sich auf einem erneuten Rekordstand. Damit finanzieren wir die anhaltende Kapitalflucht aus den Krisenländern. Mehr als 10.000 Euro pro Kopf der Bevölkerung gewähren wir so als zins- und tilgungsfreien Kredit ohne jegliche Sicherheit. Kommt es zu einem Austritt eines Landes aus der Eurozone, wären diese Forderungen nach Aussage der EZB zu tilgen. In der Praxis wird das nie stattfinden. Spätestens 2018 dürfte Italien mit einer solchen Pleite im Zusammenhang mit einem Austritt aus der Eurozone drohen und die deutsche Politik, die bisher auf Verdrängen und Aussitzen gesetzt hat, erfolgreich erpressen, um dauerhafte Transfers zu sichern. Nach der Wahl wird uns auch der neue französische Präsident Macron die Rechnung präsentieren. Im Kern geht es, vernebelt hinter vielen abstrakten Begriffen („Eurozonenbudget“, „Eurozonenfinanzminister“, „europäischer Währungsfonds“) nur darum, einen Weg zu mehr Umverteilung (zulasten Deutschlands) und vor allem zu neuen Schulden zu öffnen.

• Gläubiger Deutschland: Während wir stolz auf den Status des „Exportweltmeisters“ sind, profitieren wir dabei ebenfalls nur von den Folgen der ungelösten Eurokrise. Trotz der jüngsten Erholung bleibt der Euro zu tief angesichts der Stärke der deutschen Wirtschaft. Dies führt spiegelbildlich dazu, dass wir einen immer größeren Teil unserer Ersparnisse als Kredit an das Ausland gewähren. Es gibt aber nichts Dümmeres in einer überschuldeten Welt, als Gläubiger zu sein. Im Zuge der unweigerlich erforderlichen Entwertung dieser Schulden werden auch die Gläubiger verlieren. Das hat in Deutschland Tradition, so haben wir im Zuge der Subprime-Krise rund 400 Milliarden Euro verloren. Das nächste Mal dürften die Verluste noch größer sein.

• Bildung: Während in Asien eine neue Bildungselite heranwächst, schwächeln die Schüler der von Hochtechnologie abhängigen Exportnation Deutschland ausgerechnet bei der Bildung. Nicht nur ist es bis heute nicht gelungen, ein bundesweit einheitliches Schulsystem zu etablieren. Noch schlimmer wiegt, dass das schulische Niveau im internationalen Vergleich bestenfalls mittelmäßig ist. Darüber dürfen einige Ausnahmen wie Bayern und Sachsen und eine leichte Verbesserung in den PISA-Ergebnissen nicht hinwegtäuschen. Im internationalen Wettbewerb geht es vor allem um die Leistungen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern. Denn diese Fächer und die darauf basierenden Studiengänge sind es letztlich, die die technologische Leistungsfähigkeit bestimmen. An der Spitze stehen hier die asiatischen Länder wie Singapur und China. Auch in der Schweiz liegt der Anteil der Spitzenleister in Mathematik bei 43 von 1000 Schülern, in Deutschland nur bei 26. Wenn die SPD da plakatiert, „Bildung dürfe nichts kosten, nur Anstrengung“, zeigt es eine besonders zynische Haltung. Erst werden die öffentlichen Schulen durch Standardsenkung und Unterinvestitionen ruiniert und dann lockt man die Eltern, die mühsam das Schulgeld für (nur relativ!) bessere Privatschulen aufbringen mit einem Versprechen auf Besserung an die Wahlurne. Wird nicht klappen.

• Zuwanderung steuern: Während andere Länder Zuwanderung am Nutzen für die eigene Wirtschaft orientieren, weigern wir uns dies zu tun. Australien und Kanada sind am konsequentesten bei der Auswahl der Zuwanderer nach Qualifikation und zeigen deshalb auch die besten Integrationserfolge. Deutschland hingegen setzt auf das Prinzip „wer es zu uns schafft, der darf auch bleiben“, was in Verbindung mit dem sehr großzügigen Sozialstaat den perversen Anreiz setzt, eine lebensgefährliche Reise anzutreten. Offene Grenzen und Sozialstaat sind – das wusste schon Nobelpreisträger Milton Friedman – nicht miteinander kombinierbar. Richtig wäre ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild verbunden mit einer strikten Rückführung jener, die keinen Anspruch auf Asyl haben.

• Zuwanderung finanzieren: Während andere Länder, wie zum Beispiel auch die Schweiz, von der Zuwanderung wirtschaftlich profitieren, führt die Art der Zuwanderung bei uns zu einer nachhaltigen Belastung der Sozialkassen. Schon heute lässt sich der gesamte Anstieg der Armut in Deutschland in den letzten zehn Jahren auf die Veränderung der Bevölkerungsstruktur zurückführen. Migranten aus Nicht-EU Staaten verdienen deutlich weniger und haben eine geringere Erwerbsbeteiligung als die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund und sind deshalb auch deutlich armutsgefährdeter. Hätten wir heute denselben Anteil Migranten wie vor zehn Jahren, wäre auch die Armutsgefährdung bezogen auf die Gesamtbevölkerung unverändert.

• Auswanderer: Während sich die Diskussion nur um die Zuwanderung dreht, verkennen wir, dass jedes Jahr rund 140.000 Deutsche das Land verlassen – tendenziell eher die gut gebildeten und leistungsorientierten. Damit schrumpft der Teil jener, die die Lasten der Gesellschaft tragen. Immer weniger Leistungsträger sollen für die ungedeckten Schecks der Alterung und einer wirtschaftlich falschen Zuwanderung aufkommen. Die Abwanderung dürfte folglich in den kommenden Jahren noch deutlich zunehmen und den Wirtschaftsstandort zusätzlich schwächen.

• Automatisierung: Während Länder wie Japan voll auf Automatisierung setzen, um den demografischen Wandel zu bewältigen, dominiert bei uns die Angst. Dabei gibt es keine bessere Antwort auf den demografischen Wandel als die Automatisierung. Roboter sind Chance und nicht Risiko, nehmen sie doch keine Arbeit weg, sondern ersetzen Arbeitskräfte, die in Rente gehen. Über Zuwanderung – vor allem über die Art der Zuwanderung, wie wir sie praktizieren – wird sich diese Lücke nicht schließen lassen. Hinzu kommt, dass wir nur früher als andere altern. Wer heute auf Automatisierung und Digitalisierung setzt, kann in Zukunft in wichtigen Märkten eine starke Position besetzen. Japan macht das vor.

• Industriepolitik: Während andere Länder auf die Stärken der eigenen Industrien setzen, schaden wir unseren Industrien zusätzlich. Erst haben wir die Autoindustrie mit Blick auf den Klimawandel in die Dieseltechnologie getrieben, dann in einer unsäglichen Kooperation von Politik und Industrie die Abgaswerte geschönt, um nun über die Industrie, die wie keine andere die Stütze unseres Wohlstands ist, herzufallen. Undenkbar, dass dies in anderen Ländern passieren würde. Nach der überstürzten Energiewende (Kostenschätzungen gehen auch hier in die Größenordnung von 1000 Milliarden Euro) droht nun eine ebenso überstürzte Verkehrswende, die den Schaden zusätzlich vergrößert. Das ist symptomatisch für die Politik der letzten Jahre, die von Wähleremotionen bestimmt wurde und nicht wie von der CDU plakatiert „klug, besonnen und entschieden“ agierte.

• Digitalisierung: Während andere Länder in die Digitalisierung der Wirtschaft investieren, verspricht die deutsche Politik – wie schon im Wahlkampf 2013 – eine Digitalisierungsoffensive, ohne sie zu starten. Stattdessen sind wir im internationalen Vergleich vom 15. auf den 17. Platz zurückgefallen. Bei Breitbandzugang liegen wir auf Platz 28 von 32.  Im zuständigen Ministerium konzentrierte man sich stattdessen auf die Einführung einer Autobahnmaut und setzt dabei auch noch auf eine rückständige Technologie (Vignetten), statt auf moderne App-basierte Lösungen.

Alles dies sind die Folgen einer einmaligen Selbstüberschätzung der deutschen Politik. Statt die Folgen der politischen Versäumnisse anzuerkennen und zu handeln, schwafeln die Politiker vom „reichen Deutschland“ ohne auch nur eine Sekunde daran zu denken, dass die deutschen Privathaushalte zu den Ärmsten in der Eurozone gehören.

Nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen hat die Union die Chance, den Kurs im Sinne des Landes zu ändern. Das geht nur unter neuer Führung und wird auch so schwer genug. Jetzt zeigt sich, ob es noch Politiker gibt, die wirklich an das Wohl des Landes denken.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf beyond the obvious. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Dann unterstützen Sie bitte die SCHLAGLICHTER!

Über den Autor / die Autorin

Daniel Stelter

Dr. Daniel Stelter ist Makroökonom und Strategieberater. Als Autor zahlreicher Expertenbeiträge und aktueller Sachbücher liefert er einen unverstellten Blick auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zählt ihn zu den 100 einflussreichsten Ökonomen Deutschlands.
Dr. Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums beyond the obvious.

Von Daniel Stelter