Photo: Sniper Zeta, CC-BY-SA 4.0
Franz und Richard im Hawelka
Wir sitzen im Café Hawelka. Natürlich nicht im vorderen Teil, wo eine Gruppe chinesischer Touristen vor die Wand mit den alten Plakaten nebeneinander sich aufstellen, als würden sie warten, aufgerufen zu werden.
Ich ging sofort nach hinten zum Tisch gegenüber der Theke. Dort saßen zwei Männer, nicht viel älter als ich, aber sie kamen mir unendlich alt vor. Sie begrüßten mich begeistert und baten mich, an ihrem Tisch Platz zu nehmen.
Ich erkannte sie nicht, versuchte mich zu erinnern, dachte an Schulklassen, an das Studium, aber nichts fiel mir ein. Aber sie wussten alles über mich.
»Kannst du dich erinnern? Ich bin’s, der Franz, und das ist Richard!« Sagte der, der sich Franz nannte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und zuckte mit den Achseln.
»Wir waren gemeinsam in einer Klasse, im Gymnasium«, sagte der, den der Franz Richard nannte.
Ich musst ein ziemlich ratloses Gesicht gemacht haben, denn Franz sagte zu Richard:
»Na sowas, der hat uns vergessen.«
»Wahrscheinlich haben wir keinen so starken Eindruck gemacht!« Sagte Richard und lachte.
»Was machst du in Wien?« Fragte mich Franz.
»Nichts, ich treffe ein paar Leute und geh’ vielleicht in ein Konzert«, antwortete ich.
»Bist du noch politisch aktiv?« Fragte mich Richard.
Ich schüttelte den Kopf, bestellte eine Fette Schokolade, die der Ober nicht kannte. Ich versuchte ihm zu erklären, dass bei Frau Hawelka, vor vielen Jahren, dies eine Spezialität des Hauses gewesen sei. Eine heiße Schokolade mit einem Schuss Sliwowitz. Auch Franz und Richard hatten noch nie davon gehört und zweifelten an meiner Erinnerung, da sie beide, wie sie mir erklärten, ebenfalls seit ewigen Zeiten hierherkämen, und das noch nie jemand bestellt hatte. Ich nickte nur und überlegte, wie ich von diesem Tisch hier wegkommen könnte, sah mich um, ob nicht vielleicht an einem anderen Tisch jemand sitzen würde, den ich tatsächlich kannte. Doch außer den Chinesen war niemand da.
»Darf ich dich etwas fragen?« Franz sprach plötzlich leise und hatte sich über seine Kaffeetasse gebeugt, ohne mich anzusehen.
Ich befürchtete Schlimmstes und es traf auch ein.
»Ja, sicher«, sagte ich dennoch und nahm mir vor, die Schokolade, egal wie heiß sie sein würde, mit einem Schluck auszutrinken, um das Café so schnell wie möglich zu verlassen.
»Wie fühlt man sich als Jude bei solchen Liedern von den Burschenschaften?« Franz hatte den Kopf jetzt gehoben und sah mich an. Auch Richard blickte mir direkt in die Augen und beide warteten auf eine Antwort. Ich schaute von einem zum anderen, und mir fiel plötzlich auf, wie ähnlich sie aussahen.
»Seid ihr eigentlich Brüder? Oder miteinander verwandt?« Fragte ich.
»Wie kommst du darauf? Und was soll das jetzt?« Sagte Richard lauter werdend und schob dabei die Tasse, die vor ihm stand weg, in die Mitte des Tisches.
»Lass ihn doch, das ist ihm wahrscheinlich nicht angenehmen, diese Fragerei«, sagte Franz leise zu Richard und drehte sich weg von mir.
»Es tut mir leid, ich wollte euch nicht beleidigen, aber ihr seht euch so verdammt ähnlich.« Der Ober brachte mir ein kleines Tablett mit einer Tasse heißer Schokolade und einem Glas Schnaps. Ich gab zwei Stück Zucker in die Tasse, rührte eine Zeit lang und goss dann den Slivovitz hinein.
»Jetzt hab’ ich wieder etwas dazugelernt«, sagte der Ober und grinste.
»Wie kannst du sagen, dass wir uns ähnlich sehen. Franz ist einen Kopf kleiner als ich, hat keine Haare mehr auf dem Kopf und ist sicherlich zwanzig Kilo schwerer«, reagierte Richard empört und Franz kicherte.
»Lass doch«, sagte Franz und erinnerte mich dann an die Frage, die er mir stellte.
»Ach ja die Burschenschaften, und die blöden Lieder, die sie singen«, sagte ich langsam und nahm einen großen Schluck aus der Tasse, schaffte jedoch nicht alles auf einmal und musste sie halb voll wieder auf die Untertasse zurück stellen.
»Das muss doch furchtbar für dich sein, diese Zeile mit der 7. Million, die sie auch noch schaffen würden, es ist einfach widerlich. Irgendwie tust du mir leid, dass so viele Jahre nach dem schrecklichen Verbrechen an deinem Volk so etwas möglich ist!« Jetzt sprach Richard aufgeregt und abgehackt, als würden die Worte einzeln aus seinem Mund fallen.
Ich nahm die Tasse und zwang mich, den Rest auf einmal hinunterzuschlucken und rief nach dem Ober, um zu zahlen.
»Willst du uns nicht antworten?« Fragte Richard, der immer nervöser wurde.
»Doch, sicher«, antworte ich und blickte mich nach dem Ober um, bis ich ihn sah, und er mich sah und mir die Rechnung brachte. Ich zahlte und stand auf.
»He! Du kannst doch jetzt nicht einfach gehen!« Sagte Franz.
Ich blickte noch einmal von einem zum anderen, hatte bereits meine Jacke an und sagte: »Komisch, ich könnte wetten, dass ihr mit einander verwandt seid!«
Richard konnte sich nicht mehr beherrschen. Er sprang auf und sagte, so dass es sogar die Chinesen im vorderen Teil des Cafés hören konnten:
»Du warst immer schon ein Arschloch! Und dass du mit deiner Vergangenheit, dich denen angeschlossen hast, war auch typisch!«
Auch Franz stand jetzt neben Richard und sagte, ebenfalls immer lauter werdend:
»Nicht einmal von den rechtsextremen Burschenschaften kannst du dich klar distanzieren! Du solltest dich schämen!«
Ich sah mir beide noch einmal an, und wartete einen Augenblick, schüttelte langsam meinen Kopf und sagte während ich langsam zum Ausgang ging:
»Ihr seid euch so verdammt ähnlich, ihr müsst mit einander verwandt sein!« Und verließ das Café Hawelka.
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