Stürzt Assad durch Putins Krieg?

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Syrische Solidaritätsdemonstration für Russland (© Imago Images / ITAR-TASS)

Russland kämpft in Syrien um Ansehen und Einfluss. Der Krieg in der Ukraine könnte einen Arabischen Herbst auslösen.

Drei Viertel der für die Kriegsführung entscheidenden Informationen liegen nach Clausewitz im Nebel des Krieges. Noch dichter ist der Nebel, in dem die Folgen des Krieges liegen, zumal, wenn dessen Dauer und Ausgang noch ungewiss sind. Klar zu sehen ist nur, dass Russlands Krieg gegen die Ukraine den Nahen Osten noch unstabiler machen wird, als er bereits ist.

Ein Blick nach Syrien

Baschar al-Assad ist ein Präsident von fremden Gnaden. Seine Macht ist von der Unterstützung Russlands und Irans abhängig.

Russland hat in Syrien ungefähr zehntausend Soldaten stationiert. Die russischen Streitkräfte in Syrien verfügen über Flugzeuge, mehrere Hubschrauberstaffeln und mächtige S300- und S400-Luftabwehrbatterien.

Das im Nordwesten Syriens gelegene Hamaimim gilt als größter russischer Stützpunkt in Syrien, die Basis der russischen Luftstreitkräfte nahe der Hafenstadt Latakia ist das Hauptquartier der russischen Armee. Vor Kurzem ist dort eine Staffel Suchoi Su-35 Jets eingetroffen – das beste Kampfflugzeug der russischen Luftwaffe, abgesehen vom supermodernen Stealth Fighter Su-57, von dem erst eine Handvoll ausgeliefert worden ist.

Die russischen Seestreitkräfte sind im Hafen von Tartus stationiert, der auch als Heimathafen für Reparaturen und Routinewartungen dient. Tartus ist nach Latakia die zweitgrößte Hafenstadt Syriens. Wenige Tage vor dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine hat die russische Marine zusammen mit der syrischen ein großes Manöver vor der Küste durchgeführt, an dem sechs russische Marineschiffe teilnahmen.

Russische Militärpolizei ist in Südsyrien, nahe der Grenze zu Israel, eingesetzt, russische Militärausbilder trainieren die syrische Armee, die Söldner der Gruppe Wagner operieren unter dem Kommando der russischen Armee, ohne direkt in die russische Militärhierarchie eingegliedert zu sein.

Die Gruppe Wagner

Die rechtsextreme russische Söldnertruppe kämpfte bereits in Syrien, Libyen, Sudan, Mali, Tschad und Mosambik. Ihr Aufstieg begann mit der russischen Beteiligung am syrischen Bürgerkrieg Ende 2015. Nach Informationen des Alma Research and Education Center (in der Folge kurz Alma genannt) in Israel ist sie unter anderem an der Sicherung der Ölfelder im Nordwesten Syriens beteiligt und erhält dafür 25 Prozent der Einnahmen aus jedem von ihr gesicherten Ölfeld.

Putins Schattenarmee agiert als unabhängige Organisation, die direkt dem russischen Verteidigungsministerium und dem Geheimdienst untersteht. Ihre Söldner stehen außerhalb jeder militärischen Ordnung, es gibt Berichte über Folter und Mord an Zivilisten. Natürlich bestreitet die russische Regierung jeden direkten Einfluss.

Wie und von wem die Söldnertruppe gegründet wurde, ist unklar. Allem Anschein nach wird sie von Dmitri Walerjewitsch Utkin angeführt, einem 1970 geborenen ehemaligen Fallschirmjäger der russischen Armee.

Utkins Sympathie für den Nationalsozialismus verdankt die Gruppe ihren Namen: Utkin wählte seinen Kampfnamen »Wagner«, weil Richard Wagner einer von Hitlers Lieblingskomponisten war, die Gruppe ist nach ihm benannt. Utkin trägt SS-Runen als Tätowierungen an seinem Hals.

Innerhalb der Gruppe Wagner operiert eine Einheit namens »ISIS-Jäger«. Diese Einheit kämpfte gegen Mitglieder des Islamischen Staates und gilt selbst für die Verhältnisse der Gruppe Wagner als besonders grausam. Alma hat Hinweise darauf, dass sie am 2. März von Syrien in die Ukraine verlegt wurde – mit dem Auftrag, den ukrainischen Präsidenten Selenskij zu ermorden. Das Militär habe die Söldner von verschiedenen Stützpunkten in ganz Syrien abgeholt und von Hamaimim an die ukrainische Grenze geflogen.

Wettlauf um Einfluss

Russlands Interesse, den Iran im Wettlauf um Einfluss in Syrien zu besiegen, ist unabhängig vom Krieg in der Ukraine und bestand schon lange vor dessen Ausbruch. Dieser Wettlauf manifestiert sich militärisch, wirtschaftlich und in der Infrastruktur.

Zwar will der Iran zweifellos den Umstand ausnutzen, dass das russische Augenmerk aktuell der Ukraine gilt. Doch es scheint, dass Russland gerade jetzt seinen Einfluss vermehrt. Informationen von Alma zufolge verstärken die russischen Truppen gerade ihre humanitären Aktivitäten unter der Zivilbevölkerung, intensivieren die militärische Ausbildung der syrischen Armee und übernehmen Öl- und Gasfelder, die bisher unter der Kontrolle der radikalen schiitischen Achse standen.

Die russische Armee hat massiv an Ansehen verloren, was den Kreml dazu veranlassen könnte, in Syrien gegenüber Teheran noch aggressiver aufzutreten, um ihren Status und ihr Prestige wiederherzustellen.

Bislang gibt es jedenfalls keine Hinweise darauf, dass Russlands Militärhilfe für Assad wegen des Ukraine-Kriegs nachlassen würde, im Gegenteil. Russlands Engagement in Syrien wäre nur gefährdet, wenn der Krieg in der Ukraine so enorme militärische und finanzielle Mittel binden würde, dass es nicht mehr leistbar wird. Oder im Falle eines Machtwechsels im Kreml, wobei aus heutiger Sicht nicht klar ist, warum ein allfälliger Nachfolger Putins den Platz Russlands in Syrien preisgeben sollte, den der ehemalige US-Präsident Barack Obama freigemacht hat.

Wie das »race for influence« am Ende ausgehen wird, könnte sich dieser Tage auch in Wien entscheiden. Der Iran würde mit einem neuen Atomabkommen Milliarden für den Ausbau seiner regionalen Machtposition in die Kassen gespült bekommen und könnte Russland damit in Syrien in einen Wettlauf treiben, der dem Kreml irgendwann zu teuer wird.

Um daraus Prognosen für Assads Zukunft abzuleiten, gibt es zu viele Ungewissheiten über Dauer und Ausgang des Ukraine-Kriegs, Dauer und Wirksamkeit der Sanktionen gegen Russland, einen eventuellen Machtwechsel im Kreml und die finanziellen Möglichkeiten des Irans, um nur einige Faktoren zu nennen.

Ein Arabischer Herbst?

Florian Markl hat auf Mena-Watch die katastrophalen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die Nahrungsversorgung des Nahen Ostens geschildert. Insgesamt ist rund ein Drittel der weltweiten Getreideproduktion gefährdet.

Ob bei Düngemitteln, Weizen, Gerste, Mais, Ölsamen, Raps- oder Sonnenblumenöl – Russland und die Ukraine sind für die weltweite Lebensmittelproduktion unverzichtbar. Die Düngemittelpreise steigen schon jetzt in historische Höhen, in der globalen Lebensmittelproduktion ist mit niedrigeren Ernten zu rechnen.

Ägypten bezieht 70 Prozent seines Weizens aus der Ukraine und Russland. Noch sind die Lager in Ägypten für mehrere Monate gefüllt, doch die kriegsbedingten Ausfälle können nicht kompensiert werden. In Syrien ist das Brot bereits knapp, die Regierung hat die Rationierung von Weizen angekündigt.

Besonders dramatisch ist die Situation im Libanon, wo im letzten Jahrzehnt bis zu 95 Prozent aller Getreidekäufe aus der Schwarzmeerregion stammten: Die großen Silos wurden 2020 bei der Explosion im Hafen von Beirut zerstört, das Land kann nur für maximal anderthalb Monate Weizen lagern.

Ernährungskrisen sind der Stoff, aus dem Revolutionen gemacht sind. Hosni Mubarak wurde 2011 aus dem Amt gefegt, nachdem die Brotpreise in Ägypten explodiert waren. Der Grund dafür war eine chinesische Jahrhundertdürre im Winter 2010/11, die eine weltweite Weizenknappheit zur Folge hatte. Seither wird der Brotpreis jedes Jahr mit Milliarden Dollar subventioniert. Doch Ägyptens Staatskassen sind leer.

Tunesiens Diktator Zine el-Abidine Ben Ali wurde am 14. Januar 2011 gestürzt, Hosni Mubarak in Ägypten am 11. Februar desselben Jahres. In Syrien dachte man sich: »Das können wir auch!« Der Irrtum kostete mehr als eine halbe Million Menschen das Leben und trieb Millionen in die Flucht.

Die Auswirkungen von Russlands Krieg gegen die Ukraine auf die Verfügbarkeit und Preise von Lebensmitteln werden massiver sein als jene, die den Arabischen Frühling auslösten. Je länger dieser Krieg dauert, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit für einen Arabischen Herbst.


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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.