RESERVIERTE STRANDLIEGEN

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Ein Kampf auf Buch und Badehose

»Das ist unser Platz hier, wir haben diese zwei Liegen reserviert!«

Ich war mir sicher, einen französischen Akzent zu erkennen. Vor mit stand ein kleiner, dicklicher Mann mit beiden Armen an den Hüften abgewinkelt und einem Strohhut auf dem Kopf. Auf seiner Nasenspitze eine schmale Lesebrille, die anscheinend durch die grelle Sonne nachdunkelte, denn man konnte seine Augen nicht sehen. Sein Bauch hing über die Badehose und die beiden Brüste entsprachen dem Volumen jener einer jungen Frau, deren Körper sich auf die Ernährung eines Neugeborenen vorbereitet. Mit einem Wort: Eine sympathische Erscheinung.

Ich setzte mich auf und nahm meine Kopfhörer ab. Es war bereits zehn Uhr, und die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel.

»Man kann hier keine Liegen reservieren, es tut mir leid. Jeder kommt zu einer unterschiedlichen Zeit und nimmt sich eine, die frei ist«, entgegnetet ich ihm.

»Natürlich kann man die Liegen reservieren!« Mischte sich ein anderer Gast ein, der hinter mir ohne Schirm in der Sonne lag. Seine Haut glänzte wie die einer Gans im Backrohr, die man alle paar Minuten mit frischem Wasser übergießt. Er sprach mit einem deutschen Akzent und fuhr fort: »Ich komme jeden Morgen noch vor dem Frühstück und lege ein Handtuch und ein Buch auf die Liege. Das bedeutet, dass sie für mich reserviert ist. Warum sollte das nicht möglich sein!« Er klang aufgeregt und nervös.

Ich fühlte mich eingekreist von Frankreich und Deutschland als kleines Österreich, nahezu chancenlos gegenüber dieser Übermacht. Doch ich wollte nicht nachgeben.

»Reservieren können sie einen Tisch im Restaurant, aber keine Strandliege. Das geht vielleicht in Frankreich oder Deutschland, aber nicht hier in Österreich«, sagte ich und wusste, dass ich damit eine kleinere Katastrophe auslösen würde.

Sie sprachen nun beide gleichzeitig, und es klang wie ein Duett mit verschiedenen Akzenten und einer mangenden Abstimmung der beiden Vortragenden untereinander.

Franzose: »Das ist eine Frechheit, wir haben jeden Tag die gleichen Liegen!«

Deutscher: »Warum sollte das nicht möglich sein, ich will einfach meine Liege haben, das steht mir zu!«

Franzose: »Seit vier Jahren kommen wir hierher, und nie gab es ein Problem mit den Liegen, die wir blockiert haben!«

Deutscher: »Ich steh doch nicht extra früh auf, wenn mir dann einer einfach meine Liege klaut!«

Das ging so eine Weile hin und her und klang eher amüsant als bedrohlich und hatte auch keinen Einfluss auf mich, meine Liege zu verlassen. Bis dann der Deutsche einen entscheiden Fehler machte und sagte: »Typisch Österreicher, sich nie an die Regeln halten, eine schöne Landschaft, aber ein unverlässliches Volk!«

Ich stand auf und drehte mich um, um den den Deutschen genauer betrachten zu können, und fragte ihn: »Wie meinen Sie das, erklären sie mir das genauer mit der Unverlässlichkeit?«

Er rückte etwas zurück, auf seiner Liege sitzend, die beiden Beine links und rechts auf dem Boden, war schlank mit einer spiegelblanken Glatze und Bartstoppeln und legte sein Buch auf einen keinen Holztisch, der neben der Liege stand, und auf dem auch drei oder vier bunte Tuben mit Sonnenschutzmittel lagen.

»Na, ja, so wie ich es sagte. Ihr seid doch bekannt dafür, ihr Österreicher, immer etwas schlampig, alles nicht so ernst nehmend, das macht ja auch euren Charme aus!« Er lachte laut auf, doch es klang eher unruhig als heiter.

Der Franzose lachte ebenfalls und sagte: »Ja, so sind sie die Österreicher, immer lustig und fröhlich, aber wirklich trauen kann man ihnen nicht.«

Sie amüsierten sich plötzlich die beiden, der Franzose und der Deutsche, und fanden mit einer Bewertung der Österreicher zueinander, versuchten sich mit scherzhaften Bemerkungen gegenseitig zu übertrumpfen.

Ich ging einen Schritt näher zur Liege des Deutschen, nahm sein Buch und warf es ins Wasser. Nahm die Badehose des Franzosen, die vor ihm auf einem zusammengelegten Handtuch auf dem Boden lag und warf auch diese ins Wasser. Dann legte ich mich wieder auf die Liege, die nicht mir gehörte, und stopfte mir die Kopfhörer in die Ohren.

Ich hörte nur die Stimmen der beiden bei der lauten Musik, die in meinen Ohren dröhnte, konnte jedoch nicht verstehen, was sie sagten. Sie standen aufgeregt vor mir, rissen die Arme immer wieder nach oben und ihre Gesichter bekamen langsam eine Farbe wie nach stundenlangem Sonnenbaden ohne einen schützenden Sonnenschutz. Dann verschwanden sie plötzlich und kamen nach ein paar Minuten mit dem Hoteldirektor zurück. Dieser lächelte verlegen in seinem tadellosen, dunkelblauen Anzug, wischte sich immer wieder den Schweiß mit einem weißen Taschentuch von der Stirn und hob einen Finger, um mir zu zeigen, dass er mich sprechen wolle. 

Ich nahm die Kopfhörer ab. Neben dem Direktor, links und rechts wie zwei Leibwächter, standen der Franzose und der Deutsche und deuteten auf mich, auf das Buch und die Badehose im Wasser, die jedoch kaum mehr zu sehen waren und langsam im See verschwanden, wobei das Buch offensichtlich sich schneller vollsog und der Hose bereits weit voraus war.

»Es tut mir leid, mein Herr«, begann der Direktor höflich und leise. »Aber sie können nicht das Eigentum anderer Gäste in den See werfen.«

»Das muss er ersetzen!« Unterbrach der Deutsche den Direktor, doch der bat ihn, er solle sich doch bitte nicht einmischen.

»Na hören Sie, auf welcher Seite sind sie denn?« Fragte der Franzose den Direktor, der ihn höflich aber bestimmt ersuchte, doch ihn, den Direktor, die Angelegenheit erledigen zu lassen.

»Da gibt es nichts zu erledigen!« Sagte der Deutsche und machte mit verzogenem Gesicht den Dialekt des Direktors nach, der offensichtlich aus Kärnten kam. Der Franzose lachte. Das hätte der Deutsche nicht tun sollen, denn der Direktor sah mir plötzlich in die Augen und wir beide wussten von diesem Moment an, wo unsere Loyalitäten waren.

»Da, schauen sie!« Rief plötzlich der Deutsche. »Das Buch ist weg!«

»Was für ein Buch?« Fragte ich.

»Na mein Buch, das sie ins Wasser geworfen haben!« Der Deutsche wurde lauter und der Franzose sagte immer nur ja, ja, Buch, Hose und wiederholte die beiden Worte.

»Ich habe keine Ahnung wovon sie sprechen«, sagte ich, stand auf, sprang vom Steg ins Wasser, schwamm bis zur Badehose des Franzosen und warf sie ihm entgegen. Er fing sie und schüttelte sich, weil sie ihn nass machte.

Ich stieg aus dem Wasser und entschuldigte mich bei dem Franzosen, ignorierte den Deutschen, der immer noch »mein Buch, mein Buch« sagte, das längst untergetaucht war. Der Direktor meinte, für ihn sei die Sache erledigt, die Badehose wurde zurückgegeben und Buch sei keines zu sehen und im Übrigen müsse er mir zustimmen, dass es keine Reservierung von Liegen in seinem Hotel gäbe.


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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