Hauptsache, die USA sind demokratisch

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Haben Sie ihn auch gehört? Den Seufzer der Erleichterung aus den Redaktionsstuben von Hamburg bis Wien über den Ausgang der Midterms in den USA? Wir sollten uns aber fragen: Wann kümmert Europa sich endlich um sich selbst?

Uff, die »rote Welle« wurde gerade noch einmal abgewehrt. Und damit ist nicht etwa der globale Vormarsch Chinas oder eine neue russische Offensive in der Ukraine gemeint, sondern ein deutlicher Sieg der Republikaner. 

Donald Trump und seine Getreuen haben verloren, Ron DeSantis, Gouverneur von Kalifornien, hat gewonnen. Trump mobilisiert mehr demokratische Wähler als Joe Biden, das Leugnen seiner Wahlniederlage ist nicht mehrheitsfähig, ein kompromissloses Verbot der Abtreibung auch nicht. In den nächsten zwei Jahren kann noch viel passieren, aber Trump hätte, wenn überhaupt, wohl nur gegen Biden eine Chance auf eine neuerliche Präsidentschaft. Doch der Kandidat wird nicht von der Partei nominiert, sondern vom Wähler. Und ob sich der Star der Wahl, DeSantis, in den Vorwahlen bei der republikanischen Basis gegen Trump durchsetzen kann, ist nicht sicher. 

Wie auch immer, hierzulande zeigt man sich erst einmal erleichtert. Das Herz der schreibenden Zunft schlägt links und somit für die Demokraten. Darin unterscheidet sich die öffentliche Meinung übrigens kaum von der veröffentlichten. 2019 sahen 56 Prozent der Deutschen in den USA die größte Bedrohung für den Weltfrieden, vor Nordkorea, der Türkei und Russland, wie eine Umfrage des Allensbach Instituts ergab. 

Die German Angst vor republikanischen Präsidenten ist nicht neu. Schon gegen Ronald Reagan haben Hunderttausende demonstriert und geirrt: Am Ende ist an dessen Außenpolitik nicht die Welt zugrunde gegangen, sondern die kommunistische Sowjet-Diktatur, womit der Weg zur deutschen Wiedervereinigung frei wurde, die unter Reagans – republikanischem – Nachfolger George Bush vollzogen worden ist. Und selbst Gottseibeiuns Donald Trump erfüllte mit der Beerdigung des Freihandelsabkommens TTIP und der Reduzierung des weltweiten militärischen Engagements der USA langjährige Forderungen der deutschen Linken, wenn auch aus anderen Motiven. Gemocht haben sie ihn trotzdem nicht.

Europas Angst um die Demokratie der USA

Noch größer als die Angst vor republikanischen Mehrheiten ist hierzulande nur die Sorge um die Demokratie auf der anderen Seite des Atlantiks. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrt, denn die amerikanische funktioniert seit 246 Jahren, während wir unsere im Wesentlichen zwei verlorenen Kriegen verdanken. Vielleicht liegt darin ja der Schlüssel für die Fixierung auf Amerika. Vielleicht sind wir noch immer nicht darüber hinweg, dass kaugummikauende GIs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr für unsere Demokratie geleistet haben als alle deutschen und österreichischen Oberstudienräte zusammen. Vielleicht kränkt es uns aber auch einfach nur, dass wir in Amerika nicht wählen dürfen. 

Denn es sind vor allem Themen der amerikanischen Innenpolitik, die das Blut der Europäer in Wallung bringen, wie die aktuelle Debatte um die Abtreibung. Kaum hatte der Oberste Gerichtshof in den USA entschieden, dass die einzelnen Bundesstaaten über das Recht auf Abtreibung zu befinden haben, sah sich das Europäische Parlament veranlasst, das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche in die Charta der Grundrechte der EU aufnehmen. Kann man machen, aber warum gerade jetzt? 

Warum empören wir uns, dass Texanerinnen nicht mehr abtreiben dürfen, während die meisten wahrscheinlich nicht einmal wissen, dass in Malta Abtreibungen mit Gefängnisstrafen geahndet werden? In Polen und anderen europäischen Ländern sind Abtreibungen nur nach Vergewaltigungen erlaubt, oder wenn das Leben oder die Gesundheit der Mutter in Gefahr sind. Selbst in Österreich und Deutschland ist Abtreibung immer noch verboten, sie bleibt nur in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft straffrei – in Deutschland nur dann, wenn es vorher eine Beratung gegeben hat oder die Schwangerschaft durch sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung entstanden oder medizinisch indiziert ist. In Tirol und Vorarlberg gibt es jeweils nur eine einzige Stelle, die Abtreibungen durchführt, im Burgenland gar keine. Wäre es da nicht naheliegender, sich um Frauenrechte in Wörgl oder Mattersburg zu kümmern statt in Houston?

Werden wir erwachsen

Wir verhalten uns gegenüber den Vereinigten Staaten wie pubertierende Jugendliche gegenüber ihren Eltern: man schimpft dauernd über sie und nimmt das Taschengeld. Jahrzehnte lang haben die USA die Verantwortung für die europäische Sicherheit übernommen, während wir unsere Sicherheitsausgaben immer weiter reduziert und das ersparte Geld in unsere Sozialsysteme gepumpt haben. In Österreich verkauft man dieses Trittbrettfahren wählerwirksam als Verdienst der Neutralität, in Deutschland mit dem Euphemismus »Friedensdividende« – in Wirklichkeit trägt Amerika die Last für unsere Sicherheit, militärisch und finanziell. Nichts führt uns das deutlicher vor Augen als der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Wäre die Ukraine ausschließlich auf die EU-Länder angewiesen, würde sie heute nicht mehr existieren.   

Die Welt sortiert sich gerade neu und wir sollten dabei nicht tatenlos zusehen. USA, Kanada, Großbritannien und die EU haben mit der NATO eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur, wir sollten diese schleunigst um eine gemeinsame Wirtschaftsarchitektur ergänzen: eine Freihandelszone als Vorstufe zu einem Binnenmarkt, ohne den politischen Ballast der Union. Wirtschaftspolitik ist Sicherheitspolitik. Dass wir über die Bedrohung durch Chlorhühner und Genmais diskutiert haben, während wir uns von Russland abhängig machten, ist nicht erst im Lichte der aktuellen Ereignisse lächerlich, es war es immer schon.  

Erwachsensein bedeutet, die Verantwortung für die eigene Existenz zu übernehmen. Höchste Zeit, dass Europa erwachsen wird.  

 Zuerst erschienen im Pragmaticus.


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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.