FALLBEISPIEL CHICAGO

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Warum die Demokraten verloren

Das Stadtparlament von Chicago hat 50 Sitze. Einer der Vertreter ist Republikaner, 49 sind Demokraten. Seit Jahrzehnten gilt Chicago als Vorzeige-Stadt der Links-Liberalen in den USA mit ihrem berühmtesten Vertreter (nach Basketball-Star Michael Jordan), dem Ex-Präsidenten Barack Obama.

Republikaner hatten hier nie eine Chance. Die Stadt ist fest in den Händen der Demokraten bis zum letzten Schuldirektor.

Bürgermeister ist Rahm Emanuel, ehemaliger Chief of Staff Barack Obamas, der mit der Platzierung seines engsten Vertrauten in dieser Position die Kontrolle der Machtstruktur in der drittgrößten Stadt Amerikas und seiner Heimatstadt zementierte. Bürgermeister Rahm arbeitete als einer der eifrigsten Unterstützer im Wahlkampf an der Seite Hillary Clintons, und Gerüchten zufolge war ihm bei einem Sieg Clintons der Botschafter-Posten in Israel versprochen.

Doch dann kam alles anders als erwartet. Warum wohl?

Chicago hätte mit der uneingeschränkten Macht der Demokraten die ‚Vorzeige-Stadt’ der USA werden können. Bekannt und berüchtigt ist sie allerdings aus drei Gründen:
Korruption, Kriminalität und katastrophale Budgetpolitik der Stadtregierung.

Die Wahlerfolge der Demokraten in den letzten Jahrzehnten stützten sich weniger auf politische Positionen und Strategien als auf großzügige Wahlversprechen gegenüber den Mitarbeitern der Stadtverwaltung.

Misswirtschaft

Hohe Gehälter für Beamte, Lehrer, Polizisten, Feuerwehrleute und zum Teil absurde Zusagen für ihre Pensionszeiten haben die Stadt an den Rand des Ruins getrieben. Schon vor zwei Jahren hat die Ratingagentur Moody’s die Werthaltigkeit der Chicago Anleihen auf Junkbond-Niveau herabgestuft.

Alleine der Pensionsfonds der Beamten hat ungedeckte Verpflichtungen von mehr als 20 Mrd USD. Lehrer streiken jedes Jahr, weil ihnen versprochene Gehälter nicht ausbezahlt werden und Polizisten praktizieren ‚Dienst nach Vorschrift’, weil kein Geld für Überstunden zur Verfügung steht. Vor ein paar Monaten schickte eine Schule im Süden der Stadt Bettelbriefe an die Geschäfte in der Umgebung, mit der Bitte Klopapier zu spenden, da die Schule kein Geld mehr habe.

Doch im Zentrum und in den noblen Vororten im Norden der Stadt sieht man davon nichts. Die neuen Hochhäuser mit ihren glänzenden Glasfassaden schießen wie gut bewässerter Bambus aus dem Boden.

Im Millenium-Park wurde ein neues Museum für Moderne Kunst eröffnet und im Sommer sammeln sich hier Tausende auf den Wiesen vor der wohl modernsten Freiluft-Bühne der Welt, dem Pritzker-Music-Pavillon, und lauschen klassischer Musik bei einem Glas Wein.

Chicago hat die meisten Restaurants pro Einwohner, eine in den USA einmalige Jazz- und Blues-Kultur und natürlich das Symphonieorchester mit Maestro Ricardo Muti. Im ‚Loop’ von Chicago, dem Business-Zentrum, siedeln sich immer mehr internationale Unternehmen an. Google z.B. baute ein ehemaliges Lagerhaus für Lebensmittel in ihre neue Zentrale um. Unter den ‚Millennials’ gilt Chicago wegen der seiner Lebensqualität trotz aller Probleme als beliebteste Stadt.

Korruption und Kriminalität

Andere Rekorde sind weniger schmeichelhaft. Die Stadt hat außer einer der höchsten Mordraten in den USA auch die meisten Verurteilungen korrupter Politiker und Angestellter der Stadtverwaltung.

Seit den 1970-iger Jahren wurden etwa 2000 Beamte wegen Bestechlichkeit verurteilt. Das sind 50 pro Jahr oder einer jede Woche. Seit 1973 wurden 30 Stadt-Bezirksleiter wegen Korruption verurteilt. Der ehemalige Illinois-Kongress-Abgeordnete Jesse Jackson Jr. saß 30 Monate wegen Bestechlichkeit im Gefängnis und der Ex-Illinois-Gouverneur Rod Blagojevich trat erst vor kurzem eine 14-jährige Haftstrafe an – aus den gleichen Gründen.

Alles, wie gesagt, ehrenhafte Demokraten.

Die Bevölkerung nimmt das alles mit einer gewissen Gelassenheit zur Kenntnis. Selbst die absurd hohe Mordrate, die in den letzten Jahren um mehr als 50% gestiegen ist – im Durchschnitt gibt es jeden Tag etwa zwei Todesopfer durch Schießereien – versucht man zu ignorieren, da sie sich auf einen kleinen Teil im Süden und Westen des Stadtzentrums konzentriert.

Wenn da nicht letzte Woche ein Ereignis selbst die abgebrühten Bewohner Chicagos erschreckte. Im Süden Chicago wurde ein ganzer Waggon mit hunderten nagelneuen Schusswaffen gestohlen. Gewehre und Pistolen fachmännisch verpackt auf dem Weg zu Waffengeschäften und Schießständen; von den Importeuren und Großhändlern direkt zu den Gangs.

Wie konnten die Diebe wissen, wann wo in welchem Zug die Waffen transportiert werden? Wie eng ist die Zusammenarbeit zwischen Kriminalität und korrupter Verwaltung?

Als Drehscheibe für Drogen und illegale Waffen hat Chicago eine besondere wichtige Funktion in Amerika. Mit dem drittgrößten Containerhafen der Welt, 90 Millionen Flugpassagieren und Eisenbahnverbindungen in alle Teile der USA bietet es die perfekte Infrastruktur.

Das US-Justizministerium bezeichnete Chicago bereits öfters als das wichtigste Verteilerzentrum für Heroin, Kokain und Amphetamine – geduldet und vertuscht durch ein korruptes Verwaltungssystem.

Chicago als Symbol für die Frustration in der Bevölkerung über ‚Politische Seilschaften’ und das korrupte System der etablierten Politik? Wird sich jetzt etwas ändern?

Wenn irgendwo, dann wahrscheinlich nicht in Chicago, über das der Bestseller-Autor Ashley Montague einst schrieb:

Die Hölle wurde einst als die Taschenbuchausgabe von Chicago beschrieben.

Ashley Montague

Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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