SCHÖNER SCHEIN

S

Diesel 1

Selten haben sich Schein und Sein intensiver ineinander verknotet als beim Diesel. Selbst das einst übel beleumundete und inzwischen wieder salonfähige Cholesterin kommt da nicht mit. Erst galten Dieselfahrzeuge als schwerfällige Dreckschleudern, dann als umweltgerechte Sparsamkeitswunder, jetzt als Mogelpackung: beinahe verbrecherisch. Dabei hat sich über die Jahrzehnte grundsätzlich nicht viel geändert am rußigen Betrieb von Motoren mit Schweröl, man konnte nur immer weniger davon sehen und riechen. Es geht bei uns also, und das nicht nur in Sachen Diesel, zu wie am Hofe Ludwigs des XIV., wo man arge Körperausdünstungen mit Massen von Parfüm kaschierte. Und wie damals rümpft man, sobald ein willfähriges Opfer ausgemacht ist, die Nase und ruft: Skandal! Vom eigenen Gemüffel weiß man natürlich nichts.

Fata Morgana

Je undurchsichtiger die Verhältnisse, desto mehr sind sie von Trugbildern bestimmt. Nachts und in dichtem Nebel glauben wir Umrisse und Bewegungen zu erkennen, die gar nicht da sind; anderes verbirgt sich vor unseren Augen. In solchen Scheinwelten gedeihen Angst und Wut, Irrglaube und Hirngespinste: Die Welt der Urinstinkte wird geweckt. Der Islamismus ist dabei, eine ausgedehnte Fata Morgana archaischer Trugbilder auf uns zu übertragen – was nur möglich ist, weil wir in eigenen undurchsichtigen Verhältnissen leben.

Diesel 2

Wenn man Grenzwerte enger und enger fixiert, kippt irgendwann jedes System. Oder: Fanatische Gesundheitsvorsorge mündet schlusslogisch in Betrug oder Selbstbetrug und ist dreimal ungesünder.

Intransparenz

Die Komplexität der politischen und wirtschaftlichen Gegenwart verstellt uns den Blick auf die Gründe und Folgen einzelner Maßnahmen und Handlungsweisen – weil ihr unfassbar simple Narrative gegenüberstehen. Staatliche Wohltaten, wurde uns bspw. eingeredet, müssten im Vorfeld oder im Nachhinein nicht doppelt oder dreifach bezahlt werden. Landesverteidigung, hieß es lange Zeit, wäre beinahe überflüssig und darum für kleines Geld zu haben. Und die öffentliche Sicherheit, lernten wir, sei so wenig gefährdet, dass man mit viel weniger Polizei auskommen könne. In umgekehrter Reihenfolge beginnen wir nun die daraus entstandenen, erheblichen Problemlagen aufzuarbeiten, ohne dass es zu einer echten Umkehr bei den ebenso simplen wie sinistren Narrativen kommt. Stattdessen werden sie sich noch mehr auf die weichen Bereiche Umwelt, Bildung und Gesundheit konzentrieren: Besser, wir hören da nicht mehr hin!

Scheinriesen

In Michael Endes Jim-Knopf-Romanen gibt es die Figur des Herrn TurTur, eines hilfsbereiten, umgänglichen, aber etwas naiven Scheinriesen. Je weiter weg er ist, desto enormer wirkt er; beim Näherkommen schrumpft sein Anblick auf gewöhnliche Größe. Je länger Angela Merkel regiert und je intensiver sich Martin Schulz um ihr Amt bewirbt, desto mehr möchte man sie Herrn und Frau TurTur nennen. Großartige Alternativen gibt es einstweilen nicht. Doch sind veritable Riesenstaatsmänner und -frauen ohnedies selten, sie treten meist auch erst in Erscheinung, wenn enorm viel Porzellan zerschlagen ist – und so weit sind wir noch nicht. Vor allen anderen, besonders den schillernden politischen Riesentalenten, sollte man sich lieber in Acht nehmen. Sie richten in der Regel noch riesigeren Schaden an.

Übersprung

Wenn man Kartoffeln lange genug anschaut, wird man früher oder später ein menschliches Gesicht darin erkennen. Von dummen, langweiligen Menschen umgeben, kann man sich mit dem umgekehrten Effekt wunderbar die Zeit vertreiben! Sein und Schein liegen mal weit, mal weniger weit auseinander.

Diesel 3

Man dämonisiert die Emissionen von Motoren und sägt am Ast der Autoindustrie. Man dämonisiert die Industrie insgesamt und zielt auf freien Handel und Geldverkehr. Man dämonisiert einen angeblichen Turbokapitalismus und faselt von jüdischen Finanzkartellen… So wenig Partikel kann ein Dieselmotor offenbar gar nicht ausstoßen, so sorgenfrei die ganze Welt nicht werden, dass nicht immer noch Antisemitismus blüht und gedeiht.

Über den Autor / die Autorin

Alexander Gusovius

Alexander Hans Gusovius ist Schriftsteller und Philosoph. Seine Grundüberzeugung: „Nichts geschieht zufällig, ohne deshalb vorherbestimmt zu sein.“ Seine Grundhaltung: „Freiheit ist das höchste Gut von allen.“ Er ist Gründungsmitglied der Künstlergruppe „Schwarzer Hut“ und mit dem Fußball-Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim verbunden. Seine Artikel erschienen bisher in der WeLT, im Schweizer Monat, in MAXIM und in Novo Argumente. Zu seinen Büchern geht es auf www.alexander-gusovius.de.