DER JUD’ IST SCHULD

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Wie ein Hofnarr die Republik erschüttert

Bundeskanzler Kern spricht vom ‚Größten Skandal der zweiten Republik’. Doch es ist nicht ganz klar, wen, wer oder was er damit meint. Diesen Skandal zu verstehen und ihn zuzuordnen, ist nicht einfach. Versucht man, sich ihm Schritt für Schritt zu nähern, und bleibt man bei seiner eigenen beschränkten und simplen Systematik, so ergibt sich folgendes Bild:

Irgendwer hat einen Berater für diesen Wahlkampf engagiert. Wer genau, ist noch zu ermitteln – aber es ist eigentlich egal, wer – als Person; es bleibt eine der wenigen unbestrittenen Tatsachen, dass der Berater von der SPÖ beauftragt wurde.

Stab und Linie

Berater gibt es wie Sand am Meer. Einer wird ausgewählt auf der Grundlage der Bedürfnisse von Entscheidungsträgern. Diese erwarten sich eine Unterstützung für ihre Entscheidungen, für die sie ausgewählt, nominiert und bezahlt werden und voll verantwortlich sind.

In der Struktur des Managements unterscheidet man vereinfacht zwischen Linie und Stab, wobei der Stab unterstützend und die Linie entscheidend agiert. Der Stab bietet die guten Ideen an, die von der Linie (nicht) umgesetzt werden. In diesem Netzwerk gibt es eine eindeutige Verantwortungslinie. Die Linie entscheidet, und nicht der Stab. Die Linie ist gegenüber der Organisation verantwortlich, der Stab gegenüber der Linie.

Der Stab kann intern oder extern der Organisation angegliedert sein. Berater sind externe Bestandteile des Stabs, also weder für die Durchsetzung ihrer Vorschläge verantwortlich, noch für die Konsequenzen.

Verantwortung

Zurück zu Herrn Silberstein, der kurioserweise immer mit dem Namen genannt wird und nicht mit der Organisation oder dem Unternehmen, für das er arbeitet.

Sein Institut wurde aus bestimmten Gründen ausgewählt. Jene, die ihn beauftragten, wussten wer er ist, wussten, wie er arbeitet, kannten seine Vor- und Nachteile und kannten seine Methodik. Er ist in der Branche kein Unbekannter und genau dieses ‚Bekannte’ von ihm erwarteten seine Auftraggeber. Er lieferte, was man von ihm wollte und man bezahlte ihn für eine Leistung, die vorher vereinbart wurde. Warum ihm das nun vorgeworfen wird, ist nicht nachvollziehbar. Er lieferte, was er schon immer in vergleichbaren geschäftlichen Beziehungen geliefert hatte.

Doch bleiben wir bei der vereinfachten Stab-und-Linie Symbolik. Silberstein bot als Berater und Mitglied des externen Stabs den Entscheidungsträgern eine Strategie an, die ihn dafür bezahlten. Dort endete auch seine Tätigkeit.  Die Linie allein – und niemand anderer – entschied, was mit der Idee passierte. Kein Berater hat Zugang zu den Kommunikationsmitteln einer Organisation, außer er wird damit direkt beauftragt.

In unserem konkreten Fall schien die Linie mit Freude die Vorschläge des Herrn Silberstein übernommen zu haben. Seine Strategie wurde umgesetzt, allerdings nicht von ihm, da er weder eine Funktion in der Organisation hat, noch im Namen der Organisation handeln kann.

Doch die Sache drehte sich ins Absurde. Die Linie, repräsentiert durch die Parteispitze, ging in die Öffentlichkeit, um dort sich über den externen Stab zu empören, der von ihr selbst beauftragt wurde, eine Strategie zu entwickeln. Und noch als Draufgabe gab der Parteiführer, und damit der einzig Verantwortliche für die Organisation, bekannt, er habe von dem allen nichts gewusst.

Überträgt man die Situation auf einen Körper, der plötzlich mit dem Gehirn den linken Arm nicht mehr kontrollieren kann, nennt man das eine Lähmung. Dem Lahmen ist dies nicht vorzuwerfen, doch in bestimmten Situationen, wenn er z.B. ein Busfahrer wäre, würde man ihn ablösen. Wer will schon einem Bus sitzen, der von einem Gelähmten gefahren wird.

Anders als ein Busunternehmen entschied sich die SPÖ. Sie entließ den Leiter der Garage, in der die Busse stehen anstatt den Busfahrer abzulösen. Er habe angeblich nicht gewusst, dass sein Arm nicht mehr beweglich wäre, und das sei ihm nicht vorzuwerfen. So fährt die SPÖ weiter mit einem lahmen Chauffeur, der allerdings von seiner Lähmung keine Ahnung hat. Ob das beruhigt, sollen die Passagiere im SP-Bus selbst für sich entscheiden.

Hofnarr

Liest man die Medien zu diesem Fall und hört den Politikern zu, wird nicht irgendein Beratungsunternehmen genannt, sondern der Herr Silberstein ist der ‚Schmutzfink’, der ‚Übeltäter’, jener charakterlose, manipulierende Kriminelle, auf den die ahnungslosen Parteifunktionäre hereingefallen seien. Geschickt und täuschend habe er ihnen das Geld aus den Taschen gezogen, um dann seine eigenen Auftraggeber auch noch zu schädigen – natürlich im eigenen Interesse.

Und spätestens hier wird die Sache nicht mehr nur skandalös, kriminell oder schockierend, sondern einfach unappetitlich. Die Funktion des Beraters ist eine Jahrhunderte lange Tradition der Juden. Ausgeschlossen von den Machtfunktionen suchten sie oft eine Karriere zumindest in der ‚Nähe’ der Macht als ‚Hofnarren’ oder Ratgeber. Mit dem Ergebnis der Beratung war auch das Schicksal des Hofnarren eng verbunden. Ging die Sache gut aus, wurde er reichlich belohnt, endete sie mit einer Katastrophe, wurde er mit dem Tod bestraft. Die Literatur kennt Dutzende von Beispielen, in denen das Schicksal der Hofnarren beschrieben wird, ihr Aufstieg und Fall.

In der Sache ‚Silberstein’ wiederholt sich das grausame Schicksal der jüdischen Hofnarren. Von vielen verehrt und immer gut bezahlt, hat Silberstein mit seiner Kreativität und Intelligenz in der Vergangenheit zahlreiche Politiker und Parteien beraten. Im Falle der SPÖ hat er mit seinen ungewöhnlichen Ideen den einen oder anderen Wahlsieg zumindest positiv beeinflusst. Seine Methoden waren ungewöhnlich, und eben deshalb hat die SPÖ ihn diesmal beauftragt, da sie einen ‚ungewöhnlichen’ Wahlkampf dringend benötigte, um die drohende Niederlage abzuwenden.

Was jetzt geschieht ist allerdings – man verzeihe mir den Ausdruck: Einfach zum Kotzen! Die Flucht in die Abwehr-Reaktion ‚Der Silberstein ist schuld’, ist eine schändlich-dümmliche Ausrede voller antisemitischer Klischees.

Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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