Alan Abel, Erfinder der »Fake News«
Texas. Irgendwann Ende der Fünfziger Jahre fuhr Alan Abel, ein etwa vierzigjähriger Musiker einer Jazz-Band, auf der Autobahn mit offenem Dach in seinem Chevrolet und hörte sich einen Song an, den er mit seiner Gruppe noch am selben Abend spielen sollte. Plötzlich kam es zu einem Verkehrsstau. Nichts bewegte sich mehr. Doch statt in den Autos brav zu warten bis sich der Stau auflösen würde, sprangen die Menschen aus ihren Wagen und rannten auf der Straße herum als würden sie vor einem drohenden Unheil flüchten. Bis Abel erkannte, dass niemand davonlief, um sich zu retten, sondern im Gegenteil die Menge nach vor strömte, um auch ja nichts zu verpassen.
Auch er versuchte nun, die Spitze der Kolonne zu erreichen, und sah dort den Grund für die Aufregung und den Stillstand des Verkehrs – ein Stier hatte eine Kuh von der angrenzenden Weide auf die Straße gedrängt und bestieg sie von hinten, ohne sich von den hupenden Autos beeindrucken oder unterbrechen zu lassen.
Nach dieser Reise gründete Abel die Gesellschaft Society for Indecency to Naked Animals – SINA (Gesellschaft gegen die Schamlosigkeit nackter Tiere) und forderte, dass alles, was auf vier Beinen steht, vom Pferd bis Hund, sich nicht mehr ohne Bekleidung in der Öffentlichkeit zeigen sollte. Er fand einen Schauspieler, der unter dem Namen G. Clifford Prout als Präsident der Gesellschaft auftrat, und veröffentlichte Slogans wie »A nude horse is a rude horse«, ließ von Hubschraubern Kleidungsstücke auf Wiesen abwerfen, wo Kühe ihr Gras fraßen, malte dem Hund auf den Greyhound-Bussen eine Hose auf und demonstrierte mit seinen (engagierten) Anhängern vor dem Weißen Haus in Washington, wo in Sprechchören gefordert wurde, dass Jacky Kennedy die Sexual-Organe ihres Pferdes bedecken sollte.
Die Medien fielen darauf herein. Prout, der Sprecher der Organisation, wurde zur The Tonight Show, der Today Show und CBS Evening Show eingeladen, in einigen Bundesstaaten wurden Niederlassungen von SINA gegründet, und eine Frau aus Kalifornien spendete 40.000 USD. Die Idee begann sich zu verselbstständigen, sodass Abel gezwungen war, zu erklären, dass alles nur ein Scherz gewesen sei. Er galt von diesem Zeitpunkt an als Erfinder des Hoax, des Scherzes, der Posse, eines Streiches, einer Ente oder wie man es heute weitaus ernster bezeichnen würde: »Fake News«. Doch im Gegensatz zum modernen Begriff der Fake News, der die enorme Geschwindigkeit der Verbreitung durch soziale Netzwerke erfasst, mussten die Scherze von Abel so vorbereitet sein, dass sie von Journalisten in den verschiedensten Medien auch übernommen werden würden.
Vor wenigen Wochen starb der 94-jährige Alan Abel bei Location-Suche in Utah für die Vorbereitung seines neuen Films – »Who is Going to bite you in the neck, my dear, when all my teeth are gone?« Er galt als der unerreichte Meister des Hoax, des Pranks, der Blödelei, oder wie man es sonst irgendwie auf Deutsch erfassen könnte.
Die Liste seiner Streiche und Wahnsinns-Taten, Täuschungen und Falschmeldungen ist nahezu endlos. Selbst der Autor seiner Biographie fand immer wieder vergessene Projekte, die Abel irgendwo versuchte, und auftauchten, als das Manuskript schon längst in Druck war.
Einige seine Verrücktheiten
Als der rechtsextreme David Duke sich um den Posten des Gouverneurs von Louisiana bewarb, verkündete Abel, das Ku-Klux-Klan Symphony Orchestra gegründet zu haben, um der Kampagne für Duke ein »weicheres und menschliches« Image zu verschaffen. Er heuerte einige Musikanten an, die völlig falsch die Ouvertüre zu »Wilhelm Tell« von Rossini spielten, und sandte die Aufnahmen zu verschiedenen Radiostationen mit dem Hinweis, David Duke habe persönlich dirigiert. Zahlreiche Stationen übernahmen die Aufnahmen, und namhafte Kritiker des rechten Kandidaten meldeten sich empört zu Wort, dass nun auch noch wertvolle Kultur für politischen Extremismus missbraucht werde.
Er trat unter dem Pseudonym Irwin Leba als Kandidat für Wahlen in Texas an und forderte ein neues Steuergesetz, dass sich nach dem Gewicht des Wahlberechtigten orientieren würde. Statt der »Flat Tax« schlug er eine »Fat Tax« vor, und jeder Amerikaner sollte als Steuer jährlich fünf Dollar pro Kilo Körpergewicht bezahlen. Unterstützend dazu gründete er einen Think-Tank unter dem Namen »The Institute for Healthy Americans« und eine Web-Page mit dem Namen »fattaxfacts.org«. Der Leitspruch seiner Strategie war: »The More You Weigh – The More You Pay«
Als Idi Amin Uganda verlassen musste, entdeckte er in der New Yorker U-Bahn zufällig einen Mann, der genau so aussah. Er engagierte ihn als Schauspieler, mietete ein Penthouse in einem New Yorker Luxus-Hotel und verbreitete über die Medien, dass Idi Amin ein weißes Mannequin aus Long Island dort heimlich heiraten werde. Die Presse fiel auf den Scherz herein und brachte es in großer Aufmachung, sodass sogar der CIA sich der Sache annahm und an dem Tag der geplanten Hochzeit etliche Agenten als Gäste im Hotel versteckte.
Für die US-Präsidentschaftswahlen erfand er »Yetta Bernstein«, eine jüdische Großmutter aus der Bronx in New York, für die er unter dem Slogan »Vote for Yetta and things will get betta« einen Wahlkampf organisierte mit Interviews und Werbesendungen im Radio. Die Großmutter hatte nie jemand gesehen, und sie trat auch nirgend in Erscheinung. Erst bei der Aufdeckung des Scherzes gab Abel bekannt, dass seine eigene Ehefrau sich hinter der Stimme von Yetta verborgen hätte.
Er engagierte eine junge Schauspielerin, die angab, in der Lotterie gewonnen zu haben, und eine öffentliche Party in einem New Yorker Luxushotel ankündigte. Während der Feier warf die angebliche Millionärin bündelweise Dollarscheine aus dem Hotelfenster, sodass es zu einem Auflauf auf der Straße kam und die New York Post darüber am nächsten Tag auf der Titelseite berichtete.
Er spielte mit den Medien als wären sie sein Eigentum, und die Journalisten machten mit, oft wissend, oft ahnungslos, dass sich dahinter ein Hoax verbirgt. Durch die gute Vorbereitung seiner Scherze gelang es ihm, selbst namhafte Zeitungen wie die New York Times, TV- und Radiostationen zu täuschen.
Er kritisierte die immer beliebter werdenden Talk-Shows und behauptete, es sei alles vorbereitet, nichts geschehe spontan, und die meisten Auftritte der »Berühmtheiten« seien noch schlechtere Scherze als seine eigenen.
Es gelang ihm, einige Schauspieler in die erste Live-Show von Phil Donahue zu schmuggeln, in der es um Homosexualität ging. Mehrere seiner angeheuerten Zuseher fielen einer nach dem anderen in Ohnmacht – so sehr schienen sie schockiert zu sein über den Inhalt der Sendung, dass der verärgerte Donahue die Show abbrechen musste. Er habe später in seinem Büro vor Wut getobt und gebrüllt, erzählte sein Manager.
Er veröffentlichte eine Studie, in der er beweisen wollte, dass er seine Tochter ein Jahr lang nur mit menschlichem Haar ernährte, inszenierte mit mehreren Schauspielern sein eigenes Begräbnis, mit dem Ergebnis, dass selbst die New York Times einen längeren Nachruf über ihn publizierte. Nichts war ihm zu wichtig oder zu unwichtig, um sich nicht darüber lustig zu machen.
Abel wurde 1924 als Sohn eines jüdischen Schuh-Händlers in Ohio geboren, der die unverkauften Schuhe in seinem Geschäft durch den Hinweis los wurde, dass von diesen besonderen Schuhen jeder Kunde nur maximal zwei Paare kaufen könne. 1943 meldete er sich freiwillig zur Armee und spielte Schlagzeug in einer Militärkapelle. Nach dem Krieg studierte er Pädagogik und schlug sich als Musiker durch, bis er durch sein Erlebnis auf der Autobahn in Texas auf die Hoax-Idee kam.
Es ging ihm nie ums Geld, im Gegenteil, ohne Spenden begeisterter Fans hätte er 1998 fast sein Haus verloren. Er schlug sich mit Interviews durch, schrieb verrückte Bücher, eines zum Beispiel mit dem Titel »Is There Sex After Death«, und hielt Vorträge, die so unsinnig waren, dass das Publikum oft nicht wusste, ob es einfach nur Lachen oder sie ernst nehmen sollte.
Diesmal wird es allerdings keine Pressekonferenz von ihm geben, wie einst nach dem inszenierten Begräbnis und dem verfrühten Nachruf in der New York Times. Alan Abel wurde tatsächlich begraben und auf seinem Grabstein steht: I HAD FUN
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