DAS ENDE DER GEDULD

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Aufruf zu Anschlägen in westlichen Metropolen im Ramadan, an-Nashir Media/ DAESH
Quelle: Telegram Messenger, 03.06.2017

Im Krieg mit dem Dschihadismus

Wenn Diskussionsverbote über Ursachen und geistige Nährböden des sich religiös legitimierenden Terrorismus die Diskurskultur offener Gesellschaften bedrängen, gewinnen die Terroristen.

Innerhalb von drei Monaten erlebte Großbritannien den dritten erfolgreichen Anschlag gegen schwer zu schützende Soft Targets und Symbole westlicher Lebensart aus dem Spektrum des Salafi Dschihadismus. Der Angriff mit Fahrzeug und Messern in London fällt in den Ramadan 2017. Im islamischen Fastenmonat gilt seit dem Sieg der jungen muslimischen Ummah (Gemeinde) von Medina über die militärisch überlegenen Mekkaner in der Schlacht bei Badr im Ramadan 624 die Ausübung des gewaltsamen Dschihad als verdienstvolles Werk.

Daher hatte 2015 auch der damalige offizielle Sprecher des DAESH Kalifates, Abu Muhammad al-Adnani al-Shami, zu vermehrten Attentaten im Westen während des Ramadan aufgerufen. Seit Jahren ist der Ramadan ein Zeitraum erhöhter terroristischer Aktivitäten in der islamisch geprägten Welt, was die letzten Anschläge in Bagdad und Kabul verdeutlichen, da der Salafi Dschihadismus lokal und global gegen jeden agiert, der nicht seiner jeweiligen Islamauslegung folgt.

Die Wurzeln des Dschihadismus

Die theoretischen Wurzeln des heutigen gewaltsamen, panislamisch ausgelegten und global agierenden Salafi Dschihadismus gegen den Westen liegen auf der einen Seite in den klassischen Schriften neuzeitlicher islamistischer Theoretiker in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wie Sayyid Abu Al-Ala al-Maududi (‚Jihad in Islam‘), Sayyid Qutb (‚Die Zeichen auf dem Weg‘) und Muhammad abd-al-Salam Faraj (‚Die unterschlagene Pflicht‘). Alles keine ausgebildeten islamischen Gelehrten sondern Angehörige des jeweiligen Mittelstandes in Pakistan (Maududi) und Ägypten (Qutb, Faraj) ohne vertiefende Kenntnisse islamischer Theologie und Jurisprudenz.

Während Faraj mit seiner Schrift das Attentat auf den ägyptischen Staatspräsidenten Anwar as-Sadat 1981 durch Angehörige der Gruppierung el-Gihad legitimierte, entwickelte sich die revolutionäre Ideologie des 1966 hingerichteten Muslimbruders Sayyid Qutb im Zuge der Auseinandersetzung der islamistischen Muslimbruderschaft mit dem säkularen, panarabisch, panafrikanisch und arabisch-sozialistisch verorteten Nasserismus zur Handlungsanleitung für die Ausübung des gewaltsamen Dschihad mit globalen Impetus.

Später wird diese revolutionäre Ideologie während des antisowjetischen Dschihad in Afghanistan 1979-1989 durch die Schriften von Abd’allah Yusuf ’Azzam (Mentor von al-Quaida Gründer Osama Bin Laden) eine legitimatorische Erweiterung erfahren, da die Teilnahme am Dschihad zur „Befreiung von Afghanistan“ von ’Azzam zur individuellen und nicht delegierbaren Individualpflicht für alle Muslime erklärt wurde, die damit den gleichen Rang der Verpflichtung wie die Ausübung der Ritenpraxis der 5 Pfeiler des Islam erhielt. Die damals über das Mujahidin Services Bureau (MAK) für Afghanistan rekrutierten Araber bildeten später den Grundstock der ersten al-Qaidah Generation und importierten mit ihrer Rückkehr aus Afghanistan den gewaltsamen Dschihad nach Europa.

So etwa während des Bürgerkrieges im ehemaligen Jugoslawien im Kosovo und Bosnien in den 1990er Jahren, wo sich die saudi-arabische Islamauslegung der Wahhabiyya durch saudische Prediger und von Saudi-Arabien finanzierter Moscheen fest verankert hatte. Heute gilt Bosnien als Hotspot der globalen Dschihad-Achse Deutschland-Österreich-Bosnien-Tschetschenien, deren Entstehung man über Jahre desinteressiert und teilnahmslos zugesehen hat.

Auf der anderen Seite wird der Dschihad gegen den Westen durch den Electronic Jihad (E-Jihad) forciert, der sich zu einer virtuellen Kampffront gegen den Westen entwickelte, wobei der syrische Muslimbruder und al-Quaida Veteran Abu Musab al-Suri als geistiger Stammvater des urbanen Dschihad in Metropolen wie Paris, Brüssel, Berlin, Stockholm und London angesehen werden kann.

Im Jahr 2004 veröffentlichte er im Internet die 1600 Seiten umfassende Schrift ‚The Global Islamic Resistance Call‘, die den Grundstein für die aktuelle Generation von Anhängern von al-Quaida im Westen legte, die bereit sind, sich in Dschihadi-Aktivitäten in ihren jeweiligen Heimatländern zu engagieren. Damit hat al-Suri den Grundstein für die heutigen Self Made Jihadists (SMJ), Lone Wolf Fighter und terroristischen Kleingruppen und Netzwerke gelegt.

Diese üben seit Anfang 2015 verstärkt den gewaltsamen Dschihad in Europa und Nordamerika in Form des Low Level Terrorism durch Small-Scale Attacks mittels Schusswaffen, Sprengkörpern, Fahrzeugen und Messern als Fourth-Generation Warfare (4GW) aus, der unabhängig von direkten Kontakten zu den global agierenden Terrornetzwerken um Al Qaidah Core (AQC) und DAESH von jedem Muslim im Rahmen seiner individuell gegebenen Möglichkeiten im jeweiligen Heimatland ausgeübt werden kann. Kognitive Inspiration für Anschläge, religiöse Legitimierung und praktische Handlungsanleitungen bieten seit 2010 die Internetmagazine ‚Inspire‘ von Al Qaidah auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) und ‚Rom‘ von DAESH.

Die Erklärung des totalen Kriegs

Ohne Übertreibung kann man inzwischen von einer „totalen Kriegserklärung gegenüber allen Europäern“ sprechen, da keine Tabus und Hemmungen mehr bezüglich des Zielspektrums von Anschlägen existieren.

Das hat die Schächtung eines 86-jährigen katholischen Priesters im Juli 2016 in während einer Geiselnahme in einer Kirche in Rouen (Frankreich) durch zwei DAESH Anhänger gezeigt. Eine Tat, die schnell aus der medialen Berichterstattung verbannt wurde, obwohl kurz vorher im Internetmagazin Rom christliche Geistliche zu legitimen Zielen erklärt worden waren.

Auch der Anschlag in London war nicht nur auf die Erzielung einer hohen Opferzahl ausgelegt sondern auch auf eine besonders blutige Tatausführung. Zum einen, um globale Berichterstattung zu bewirken, da die Salafi Dschihadis im Gegensatz zu terroristischen Gruppierungen wie der IRA nicht nur viel Aufmerksamkeit erzielen sondern dabei auch möglichst viele Menschen töten wollen, wie der Terrorismusforscher Brian Michael Jenkins in einem bekannten Statement festgestellt hat. Zum anderen, um vor den anstehenden Parlamentswahlen die bestehenden ethnisch-religiösen Bruchlinien in der britischen Gesellschaft zwischen Muslimen und Nichtmuslimen weiter zu vertiefen, da terroristische Akte auch eine Form psychologischer Kriegsführung im Rahmen strategischer Kommunikation darstellen. Kurzfristig soll Angst und Schrecken erzeugt werden, mittel- bis langfristig soll die Weltsicht der vorgeblichen Feinde der Salafi Dschihadisten verändert werden.

Unwissenheit, Konfliktscheu, Ignoranz und Friedfertigkeit

Auf der objektiven Ebene kann kein Anschlag der Salafi Dschihadis eine verfasste Ordnung in ihren Grundfesten erschüttern.

Auf der subjektiven Ebene haben die Salafi Dschihadis hingegen ihr Ziel erreicht, weil die Anschläge seit 2015 zu einer Entsicherung des Lebensgefühls weiter Bevölkerungskreise in Europa geführt haben. Das Vertrauen in die staatliche Autorität erodiert, da man dem Staat als Inhaber des Monopols physischer Gewaltsamkeit (Max Weber) nicht mehr zutraut, Sicherheit und ein friedliches Leben zu garantieren.

Das kann der Staat auch gar nicht, da es keine 100% Sicherheit gibt. Man muss den politisch und gesellschaftlich Verantwortlichen aber vorwerfen, über Jahre hinweg aus Unwissenheit, Konfliktscheu, Ignoranz und weltfremder propagierter Friedfertigkeit die sich herausbildenden Konflikt- und Gewaltpotentiale in den muslimischen Communities nicht thematisiert und bearbeitet zu haben.

Ich kann mir diese Einschätzung erlauben, da ich schon im Mai 2011 im Rahmen einer Gefährdungseinschätzung vor dem Konflikt- und Gewaltpotential der salafistischen Vereinigung Die Wahre Religion (DWR) gewarnt habe, die dann Ende 2016 in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegt wurde. Unter anderem, weil sich DWR zum Sammelbecken für dschihadistische Islamisten entwickelt hatte, die auch durch die Koranverteilungskampagne LIES! rekrutiert wurden.

Diese Gefährdungseinschätzung wurde damals an politische und gesellschaftliche Multiplikatoren versandt. Als Antwort bekam ich zu 95% keine Reaktion und zu 5% allgemeine Floskeln. Das Ergebnis dieser Ignoranz erlebte ich dann im September 2013 in Dortmund, wo ein Prediger aus dem Umfeld von DWR offen zur Teilnahme am gewaltsamen Dschihad in Dortmund aufrufen konnte. Und das ist nur ein Beispiel von vielen die zeigen, warum Europa als „weicher Bauch des Westens“ (Gilles Kepel) da steht, wo es steht:

Im Fadenkreuz des Salafi Dschihadismus, der auch die nächsten Jahre beständig Anschläge ausüben wird, wobei es inzwischen unerheblich ist, ob Gruppierungen wie al-Qaidah und DAESH existieren, da sich diese Form des religiös unterfütterten Terrorismus inzwischen in Teilen der muslimischen Communities durch reale Netzwerke und dem E-Jihad in jedem europäischen Land als selbsterfüllende Prophezeiung fest implantiert hat. Gleichzeitig hat sich die soziale Alltagsrealität verändert, da die Angst vor Anschlägen längst zu Verhaltensänderungen der Menschen führen, womit sich objektiv gegebene Gefährdungslage und subjektiv empfundenes Sicherheitsgefühl immer weiter entkoppeln.

Kurskorrektur oder Niederlage

Dieser Prozess ist unumkehrbar, weil inzwischen eine vollständige Bekämpfung des Salafi Dschihadismus nicht mehr möglich ist. Der Zug ist für Deutschland und Österreich schon 2010 abgefahren. Auch Großbritannien mit rund 3000 dschihadistischen Gefährdern bekommt das Problem nicht mehr in den Griff, während die jeweiligen amtierenden Regierungen seit den Anschlägen von London 2005 immer mehr Freiheitsrechte zugunsten von immer mehr Überwachung einschränkten. Was die dschihadistischen Milieus nicht davon abhielt, weiter Metastasen auszubilden, die heute das Land wie ein einziges Krebsgeschwür überziehen.

Inzwischen ist bei vielen Menschen das Ende der Geduld erreicht, die sich immer weniger von Diskussionsverboten beeindrucken lassen, die durch inhaltsleere und moralinsaure Kampfbegriffe wie „Islamophobie, Islamfeindlichkeit und antimuslimischen Rassismus“ gegen jegliche Kritik imprägniert wurden.

Nun führt in offenen Gesellschaften kein Weg daran vorbei, die bestehenden Konflikt- und Gewaltpotentiale, die sich durch die islamische Religion und deren immanente theologisch-juristischen Lehren legitimieren, zu benennen und analytisch kühl zu sezieren, um weitere Anschläge durch Prävention, Intervention und Repression soweit wie möglich zu verhindern. Wobei man sehr wohl den Unterschied zwischen Islam als Religion und Islam als direkt von Allah stammende Aufforderung, die Welt durch gewaltlosen und gewaltsamen Dschihad zu unterwerfen, kennt. Ohne dabei in die Extreme Relativierung und Generalisierung zu verfallen, die derzeit den gesellschaftlichen Diskurs bestimmen.

Gelingt diese notwendige Korrektur nicht, kann man in Zukunft, wie am Ende eines Dramas von Shakespeare, die Opfer dschihadistischer Anschläge stapeln, während das für die staatliche Autorität existentielle Grundvertrauen zwischen den auf Zeit Regierunden und den Regierten beständig erodiert. Und der gesellschaftliche Zusammenhalt zerfällt entlang ethnisch-religiöser Bruchlinien, womit die Salafi Dschihadis am Ende gewinnen werden.

Über den Autor / die Autorin

Thomas Tartsch

Thomas Tartsch, Dr. rer. Soc. und Dipl. Soz.-Wiss.
Seit über 15 Jahren verschiedene Tätigkeiten in den Bereichen Terrorism-Counterterrorism; Islamismus und Dschihadismus; Politikberatung; Vereinbarkeit von Islam und freiheitlichem, säkularisierten Staat.
Vertreter einer vermittelnden Position auf Grundlage des Konzeptes vom Weg der Mitte (at-Tariq al-Ausat).

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