AL-QUAIDAS ARM IN AFRIKA

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Die gefährlichste Terrororganisation der Welt?

Am Samstag, den 14. Oktober 2017, setzte sich ein Selbstmord-Attentäter ans Steuer eines LKW, der mit hunderten Kilogramm Sprengstoff beladen war, und nahm Kurs auf das Außenministerium im Zentrum von Mogadischu, der Hauptstadt Somalias. Nachdem er bei einer Kontrolle angehalten worden war, beschleunigte er, durchbrach eine Straßensperre und überrollte Menschen, Motorräder und Autos, bis er an einer der belebtesten Kreuzungen der Stadt seine Bombe zündete, inmitten von Hotels, Geschäften und Büros. Ein in der Nähe geparkter Tanklastwagen entzündete sich zu einem gigantischen Feuerball. Rundherum versank die Stadt in Tod und Zerstörung.

358 Tote, hunderte Verletzte. Es war der schwerste Terroranschlag seit 9/11 und der schwerste in Somalias blutiger Geschichte. Zu verantworten hat ihn al-Shabaab, eine islamische Miliz, die im somalischen Bürgerkrieg binnen weniger Jahre zur gefährlichsten Terrororganisation Afrikas aufgestiegen ist. 2012 schwor sie der Al-Qaida die Gefolgschaft. Ihr Ziel ist die Errichtung eines Islamischen Staates unter einer besonders strengen Auslegung der Scharia.

Der Name al-Shabaab bedeutet „Die Jungen“ oder „Die Jugend“. Tatsächlich rekrutiert al-Shabaab ihre Kämpfer in hohem Maße unter Kindern und Jugendlichen. Die Armee ist verhältnismäßig gut ausgebildet und ausgestattet. Wie der IS bedient sie sich moderner Kommunikationsmethoden. Ihre Geldgeber stammen vor allem aus Kenia und Eritrea. In den kontrollierten Gebieten finanzierte sich al-Shabaab durch systematische Erpressung der Bevölkerung, Hafen- und Transportgebühren und durch den Export von Holzkohle nach Saudi-Arabien. Während der Dürrekatastrophe 2011 erpresste sie Gelder von internationalen Hilfsorganisationen. Später wurde der Zuckerschmuggel mit Kenia zu einer Haupteinnahmequelle. „Die Korruption füttert al-Shabaab. Kenia ist schon seit Langem die logistische Basis der Terroristen.“, zitiert die ZEIT John Githongo, der den kenianischen Ableger von Transparency International gegründet hat.

Die Zahl der Todesopfer von al-Shabaab liegt längst tief im vierstelligen Bereich. Allein die Bombe vom 14.Oktober tötete mehr Menschen als bei den Anschlägen von Paris, Nizza, Barcelona und Berlin zusammen ums Leben gekommen sind. Trotzdem stand die Terrororganisation bislang kaum im Blickfeld der Öffentlichkeit. Das könnte sich bald ändern. Vieles weist darauf hin, dass sie sich internationalisieren wird. Der teilweise Verlust ihrer Heimatbasis dürfte diesen Prozess beschleunigen. Die WELT schrieb dazu nach dem verheerenden Anschlag:

Es ist bekannt, dass ausländische Terroristen in Somalia trainiert werden, sie stammten unter anderem aus Großbritannien. Zwar wurden sie noch nicht für Anschläge in Europa eingesetzt, doch schon im Jahr 2012 warnte Jonathan Evans, der damalige Chef des britischen Geheimdienstes MI5, dass Somalia zur neuen Brutstätte des internationalen Terrors werden könnte. Er bezeichnete es als ‚eine Frage der Zeit, bis wir auf unseren Straßen Terror erleben, der von jenen inspiriert wird, die heute an der Seite von al-Schabab kämpfen‘.

Der Aufstieg von al-Shabaab ist eine Folge des Bürgerkriegs, der seit dem Sturz des Diktators Siad Barre im Jahr 1991 in Somalia tobt. In Somalia, das fast doppelt so groß ist wie Deutschland, leben knapp 12 Millionen Menschen, fast alle sind Sunniten. Ein Viertel der Bevölkerung sind Nomaden. Über eine Million sind auf der Flucht und leben in einem der 107 Flüchtlingscamps. Weder einer der nach dem Sturz Barres eingesetzten Übergangsregierungen noch der föderalen Regierung seit 2012 gelang es, das Land zu kontrollieren. Somalia gilt als failed state.

Black Hawk Down

1992 versuchte die UNO-Mission UNOSOM, die Lieferung von Nahrungsmitteln zu sichern und den Frieden wiederherzustellen. Vergeblich. 1995 mussten sich die letzten Einheiten zurückziehen. Die US-Truppen verließen das Land schon 1994, nachdem in der „Schlacht von Mogadischu“ 18 US-Soldaten, ein malaysischer UN-Soldat und geschätzte 1000 Somalier gefallen waren.

Am 3. Oktober 1993 wollten Truppen der US-Spezialeinheit Delta Force enge Berater des somalischen Warlords Mohammed Farah Aidid gefangen nehmen, die sich angeblich in einem Hotel in Mogadischu treffen sollten, vielleicht sogar mit dem Clanchef selbst. Der Widerstand von Aidids Milizen war heftiger als erwartet, zwei Black-Hawk Hubschrauber wurden abgeschossen, die Bodentruppen wurden in schwere Gefechte verstrickt. Ein weiterer Black Hawk sollte die Besatzung des abgeschossenen Hubschraubers Super-Six-Four retten. Die Sergeants Gary Gordon und Randall Shughart baten mehrfach um diesen Auftrag. Beim Einsatz wurde ihr Hubschrauber von einer Granate getroffen und musste bruchlanden. Die beiden Scharfschützen kämpften vergeblich. Sie wurden von der Übermacht der Somalier überrannt und getötet.

Die somalischen Milizen schändeten die Leichen von Gordon und Shughart, banden ihre toten, nackten Körper an Autos und schleiften sie durch die Straßen Mogadischus. Die Bilder gingen um die Welt. Beide Soldaten wurden posthum mit der Medal of Honor geehrt. Ridley Scott verfilmte die Ereignisse in „Black Hawk Down“.

Ein Staat zerfällt

Der Bürgerkrieg ging unverändert weiter. Die erste Übergangsregierung konnte sich nicht lange halten, und radikal islamische Gruppen kamen an die Macht. 2006 eroberte die Union islamischer Gerichte Mogadischu und führte in weiten Teilen des Landes die Scharia ein. Woraufhin Äthiopien, das sich vom islamischen Einfluss bedroht fühlte, der Übergangsregierung beisprang und in Somalia einmarschierte. Zwar konnten die Äthiopier die Union rasch zurückdrängen, es gelang ihnen jedoch nicht, die militanten Islamisten zu besiegen. Im Gegenteil, diese wurden bis zum Abzug der äthiopischen Truppen Ende 2009 deutlich stärker und gewannen im Kampf gegen die fremde Armee an Rückhalt in der eigenen Bevölkerung.

Die Union islamischer Gerichte splitterte sich nach ihrer Entmachtung Ende 2006 in kleinere Gruppen auf. Aus ihrem militanten Flügel ging al-Shabaab hervor, die in den Wirren des Bürgerkriegs zum mächtigen Gegner der von EU und USA unterstützten Übergangregierung (TFG) aufstieg. Zwar konnten Soldaten der TFG zusammen mit einer 12.000 Mann starken Mission der Afrikanischen Union (AMISOM) und Teilen der äthiopischen und kenianischen Armee al-Shabaab 2011 zum teilweisen Rückzug aus Mogadischu zwingen, entscheidend schwächen konnten sie die Islamisten jedoch nicht.

Im Jahr darauf wurde die Übergangsregierung aufgelöst und durch eine föderale Regierung ersetzt, die international von immer mehr Ländern anerkannt wird, jedoch nicht überall im eigenen Land. Noch immer beherrschen Clans, Warlords und militante Islamisten große Gebiete. Somalia ist ein „gescheiterter Staat“ und liegt auf dem letzten Platz im Korruptionsindex von Transparency International.

Wir sind alle Mogadischu

Fast auf den Tag genau 40 Jahre vor dem Anschlag, am 13. Oktober 1977, entführten palästinensische Terroristen die deutsche Lufthansa Maschine „Landshut“, um führende RAF-Mitglieder der ersten Generation aus der Haft freizupressen. Fünf Tage später befreite die deutsche Anti-Terroreinheit GSG 9 in Mogadischu die 91 Geiseln aus der Gewalt der Terroristen. Es war der Wendepunkt im „Deutschen Herbst“, der in den Stunden danach mit dem Selbstmord von Baader, Ensslin und Raspe in Stammheim und der darauffolgenden Ermordung Hans-Martin Schleyers zu Ende ging.

Am 18. Oktober 1977 ist Mogadischu Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte geworden. Die Zukunft wird zeigen, ob der 14. Oktober 2017 einmal Teil der europäischen Geschichte wird: als jener Tag, an dem der Kontinent zum ersten Mal ins Antlitz seiner künftigen Bedrohung starrte.

Update: Nur zwei Wochen nach diesem Anschlag wurden bei einem Doppelanschlag von al-Shabaab mindestens 25 Menschen ermordet

Zuerst erschienen auf mena-watch

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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.

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