SILVESTER? PESSACH!

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Familienfeste

In unserem Freundeskreis ist Silvester nicht gerade der größte Hit. Die einen schlafen zum Jahreswechsel bereits tief und fest, weil sie im Schiurlaub weilend mit erschöpften Muskeln die frühe Nachtruhe für die Fitness am Folgetag suchen.

Die anderen finden keinen Babysitter, weil die Jugend, die gern ihre Finanzen mit Hilfe von Unterstützungsdiensten in der Kinderbetreuung aufbessert, selbst gern abtanzen und feiern geht, vor allem zu Silvester. So sitzen wir Weiss durchaus mal vor dem Fernseher und schauen aufgenommene Filme des zu Ende gehenden Jahres an, die sonst eh nie zu Ehren kämen.

Dem Gemahl kommt das vom Naturell her sehr entgegen, ihm hat sich nie erschlossen, warum ein Jude Silvester feiern soll. Erstens hat er mit Päpsten ganz allgemein nichts am Hut, zweitens hat er doch eh schon Rosh Hashana, das jüdische Neujahrsfest, im vorangegangenen Herbst gefeiert, womit alles erledigt scheint. So gehöre ich nicht zu jenen, die all die guten Tipps und Ratschläge der Frauenzeitungen für ein schillerndes Festoutfit wahrnehmen dürfen, die Hauskluft ist ausreichend für Silvester.

Einladungen für Pessach

Ein jährlich widerkehrendes Phänomen ist allerdings ist die Tatsache, dass, kaum ist das neue Jahr ins Land gezogen, eifrig über Einladungen für Pessach gesprochen wird. Hierbei spielt der Liebste eine tragende Rolle, bereits im Jänner sollte Ausschau nach möglichen Gästen gehalten werden. Wer ist im Land? Viele pflegen wegen der komplizierten Speiseregeln zu Pessach der Entspannung halber, die Feiertage im Hotel in Israel zu verbringen. Andere haben familiäre Verpflichtungen, derentwegen sie nicht ins Hause Weiss geladen werden können.

Pessach fällt meist zeitlich mit Ostern zusammen, da der jüdische Kalender ein Mondkalender ist und die beweglichen christlichen Feste, zu denen Ostern ja gehört, auch nach dem Mond fallen. Zu Pessach feiern wir den Auszug der Juden und Jüdinnen aus Ägypten, den Weg aus der Sklaverei, angeführt von Moses, begleitet von g´ttlichen Wundern. Es ist ein fröhliches Fest der Befreiung, bei Tisch herrscht eine gewisse Ordnung (Seder), die Ablauf und Speisen regelt.

Wir freuen uns das ganze Jahr auf diese beiden Sederabende, gegessen wird sehr viel, geredet und diskutiert ebenso. Und bei solchen Begebenheiten will man freilich die eigenen Kinder, sofern schon ausgezogen, und liebe Gäste dabei haben. Alle sollen beisammen sein, man erfreut sich am familiären Zusammenhalt, Seder zu Hause ist ein emotionaler Grundpfeiler. Dazu gibt es einen beliebten Witz:

Die liebe Familie

Der alte Moishe greift zum Telefon und ruft seine Tochter an: „Sarahle, Papa spricht. Ich habe leider traurige Nachrichten: Die Mama und ich, wir lassen uns scheiden.“ Die Tochter entsetzt: “Aber, Papa, ihr habt euch doch immer so lieb gehabt, wo gibt es heute noch so eine Ehe wie eure? Was macht ihr da nur?“ Der Vater erwidert: „Ja, das stimmt, aber 40 Jahre ist genug, jetzt machen wir Schluss.“ Die verzweifelte Sarah: „Papa, bitte rede mit Mama, ich sag alle Geschäftstermine ab, nächsten Monat ist Pessach, ich buche einen Flug, reden wir darüber Zuhause. Ich bitte dich.“ Der Vater: „Gut Sarahle, wir erwarten dich.“

Kurz danach erzählt der Vater seinem Sohn Samuel von den Scheidungsabsichten. Shmuli, wie er von den Eltern genannt wird, ist am Boden zerstört:“Papa, wie kann das sein? Was ist da los? Ich rede gleich mit meiner Frau, wir packen die Kinder zusammen und kommen alle zu Pessach. Ich kann es nicht fassen, ihr beide, bitte reden wir dann.“ „Gut, reden wir Pessach“, antwortet der Vater.

Wenige Minuten später läutet das Telefon im Hause Moishe und Rivka Teitelbaum. Eine aufgewühlte Tochter Rachel ist dran. Der Vater hebt ab:“Hallo?“ Aus dem Telefon: „Papale, Racheli spricht. Ich, wir sind am Boden zerstört. Ich weiß es schon, Shmuli hat uns alle angerufen. Was ist nur mit dir und Mama? So ein verliebtes Paar. Bitte denkt noch mal nach. Wir alle, eure Kinder kommen mit den Enkelkindern zum Seder, bitte, vielleicht können wir das klären.“ „Gut, liebe Racheli, machen wir das.“

Moishe legt den Hörer ab, lächelt beseelt und ruft zu seiner Liebsten in die Küche: „Rivki, mein Schatz, alle Kinder kommen für Pessach!“

Über den Autor / die Autorin

Fanny Weiss

Fanny Weiss ist eine Gastgeberin alten Schlags. In ihrem Haus, das sie führt wie einen Salon der Jahrhundertwende, sind Gäste gern gesehen und herzlich willkommen, hier wird gut gegessen und leidenschaftlich diskutiert. Alltägliche Themen wie Kindererziehung und Familienleben werden ebenso erörtert wie Fragen der Nachhaltigkeit oder der Sinn des Lebens. Ihr Bedürfnis nach Zurückgezogenheit und Stille lebt die freischaffende Künstlerin in ihrem Atelier aus, das ihr als Versteck vor Menschen und allzu viel Gerede dient. Fanny ist verheiratet und Mutter zweier Teenager.

Von Fanny Weiss