GREAT BRITAIN UNDER ATTACK

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Photo: james o’hanlon, CC BY-NC-ND 2.0

Wahlen im Schatten des Terrors

Der 22-jährige Salman Abedi ermordete diese Woche nach einem Konzert in Manchester durch ein Sprengstoff-Attentat 22 meist jugendliche Besucher. 64 sind noch in den Krankenhäusern, davon 20 mit so schweren Verletzungen, dass nicht sicher ist, ob sie überleben.

Abedis Familie kam aus Libyen nach Großbritannien, wurde als Asyl-Suchende aufgenommen und konnte mit all den üblichen Unterstützungen ein neues Leben beginnen, weit weg vom Bürgerkrieg in ihrer Heimat. Nach Ansicht anderer libyscher Familien in Manchester benahmen sich die Abedis nicht weiter auffallend, waren ganz ‚normal’ wie viele bestätigten, auch die beiden Söhne fielen nicht weiter auf. Im ersten Interview bevor er als möglicher Mittäter verhaftete wurde, behauptete der Vater noch, dass alles ein Irrtum sein müsse, sein Sohn würde so eine Tat nie begehen.

Was ist eigentlich noch ‚ganz normal’?

Salman Abedi brach vor einem Jahr das 2014 begonnene Studium plötzlich ab. Weigerte sich auch schon vorher, eine Unterkunft für Studenten anzunehmen und wohnte angeblich bei seinen Eltern. Dort hatte ihn allerdings nie jemand gesehen und bis heute wurde zumindest von den Behörden nicht veröffentlicht, wo er sich tatsächlich aufhielt. Erst durch die Verhaftung von Mitbewohnern wurden einige Adressen bekannt. Er sprach mit niemandem auf der Universität, war in keiner Studentenorganisation und selbst der Studenten-Imam kannte ihn nicht. Ein Nachbar erinnerte sich jedoch, dass er mitten in der Nacht auf der Straße auf und ab rannte und laut auf arabisch aus dem Koran zitierte.

Nur wenige Tage vor dem Attentat kam er von einer Reise nach Libyen zurück. Es war nicht der einzige Besuch in seiner alten Heimat während der letzten Monate und auch in Syrien hatte er sich mehrere Male aufgehalten. Inzwischen wurden der Vater und seine beiden Brüder verhaftet. Einer der Brüder und der Vater übrigens in der libyschen Hauptstadt Tripolis.

Also alles ganz ‚normal’ …

Man könnte heulen vor Wut, wenn wenige Stunden nach dem Attentat derart eindeutige Informationen über diese angeblich ‚stinknormale’ Familie veröffentlicht werden. Wie viele Fragen drängen sich hier auf, die scheinbar die Sicherheitsorgane nie interessierten:

Wovon, wo und mit wem lebte der 22-Jährige? Wer zahlte seine zahlreichen Reisen nach Libyen und Syrien? Mit wem stand er in Kontakt in Manchester? Wen traf er bei seinen Auslandsreisen? Wie konnte er eine – wie Sicherheits-Fachleute bestätigten – hochkomplizierte Bombe bauen ohne entsprechendes Terror-Netzwerk? Warum wurden sein Vater und sein Bruder in Libyen verhaftet, das Land, aus dem sie angeblich fliehen mussten? Wie konnte Salman Abedi von Libyen zurück nach England reisen, ohne dass die Behörden Verdacht schöpften?

Business as usual

In zwei Wochen wählt Großbritannien ein neues Parlament. Seit den Wahlen 2015 sind die Konservativen mit 37% und 331 MP, Labour mit 31% und 232 MP, die rechte UKIP mit 12%, Grünen mit 4% und Liberalen mit 8% im Parlament vertreten. Bei der Bekanntgabe der vorgezogenen Wahlen im April führten die Konservativen in den Umfragen mit 15% vor Labour. Der Vorsprung schmolz in den letzten Wochen auf 9%, nachdem die Konservativen Einsparungen im Gesundheitssystem und in der Altersversorgung ankündigten.

Nach dem Attentat wurde der Wahlkampf für kurze Zeit ausgesetzt, doch bleibt den Parteien nur noch wenig Zeit, ihre Positionen und Programme zu kommunizieren. Trotz der zahlreichen zum Teil emotionalen Reaktionen von Politikern und Vertretern des Königshauses hat bisher keine Partei versucht, das Thema Terror in den Wahlkampf aufzunehmen. Im Gegenteil, die Briten geben sich wie immer stur und unbeugsam und versuchen demonstrativ business as usual zu zeigen, bis zum ausverkauften Finale der Europe-League, das Manchester United 2:0 gegen Ajax Amsterdam gewann. Das Verhalten erinnert an die Bemerkung eines Politikers über den Bombenhagel auf London während des Krieges: Die Bomben werde man überleben, kritisch würde es erst, wenn eines Tages der Tee ausginge.

Zwei gänzlich unterschiedliche Parteien

Anders als in vielen europäischen Ländern, trennen die beiden Großparteien, Conservative und Labour, nicht nur Name und Geschichte, sondern auch Ideologien und Programme.

Die Britischen Konservativen sind stolze Konservative und in ihrem Wahlprogramm – The Conservative Manifesto – wird Konservatismus neu definiert und nicht lang herumgeeiert mit Partei der Mitte, Volkspartei, Christ-Demokraten etc. Der echte Konservative habe eine Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft und seiner Heimat und vertraue den demokratisch gewählten Institutionen.

Die Schwerpunkte des Wahlprogramms sind eine Stärkung der Wirtschaft, die Wohlstand und Sicherheit garantiere, Verbesserung der Chancengleichheit und Altersversorgung, die technische Modernisierung des privaten und staatlichen Sektors und ein für GB optimales Ergebnis bei den Brexit-Verhandlungen.

Im Kapitel Brexit versteckt sind die neuen einschneidenden Maßnahmen der Begrenzung der Zuwanderung. Ansonsten ein fast harmloses Programm, im dem übliche populistische Law and Order Forderungen konservativer oder rechter Parteien wie Aufstockung der Polizei, Ausbau der Geheimdienste, schnellere Abschiebungen, neue Anti-Terror-Gesetze usw fehlen.

Kurioser Weise versprach Labour, unter dem neuen Vorsitzenden Jeremy Corbyn, die Einstellung von zusätzlich 10.000 Polizisten und präsentiert sich damit als Links-Partei mit Rechts-Populismus. Das Wahlprogramm mit Verstaatlichung der privatisierten Eisenbahn-Gesellschaften und der Britischen Post erinnert eher an altbackenen Sozialismus als an moderne Sozialdemokratie. Energieversorgung und Gesundheitssystem müsse unter staatlicher Kontrolle bleiben. Er kündigte Steuererhöhungen für die Reichen und eine Erhöhung der Gewinnsteuer für Unternehmen an. Studium und Schulen müssten gebührenfrei sein, Kultur benötige mehr Geld und pro Jahr würden 100 000 Wohnungen für verarmte Familien gebaut werden.

Bei Brexit wagte Labour keinen Alleingang und verlautbarte fast zögerlich, man werde die Abstimmung Pro-Brexit respektieren, jedoch besser verhandeln als die Konservativen.

Die Reaktion der Konservativen auf den Plan, in Großbritannien den Sozialismus einzuführen, war kurz und emotionslos: Ein interessanter Plan. Er würde etwa 100 Milliarden Pfund kosten, das seien pro Jahr 4000 Pfund für jede Familie.

Doch Labour kämpft noch mit ganz anderen Problemen. In den letzten Jahren wurden etwa 50 Mitglieder wegen Rassismus und Antisemitismus ausgeschlossen. Unter ihnen prominente Vertreter wie Naz Shah – Mitglied des Parlaments – die als Unterstützung ihrer Palästinensischen Brüder und Schwester verlangte, alle Juden sollten aus Israel vertrieben werden. Die USA könnte sie aufnehmen, um den historischen Irrtum der Staatsgründung Israels zu korrigieren. Sie verglich Zionismus mit Al-Qaida und Israel mit Nazi-Deutschland. Weiter Ken Livingstone, Ex-Bürgermeister von London, der den Geistesblitz von sich gab, Hitler habe eigentlich den Zionismus erfunden und auch unterstützt.

Corbyn selbst gilt als eiserner Unterstützer von Hamas und bezeichnet einige ihrer Vertreter als seine Freunde. Er bot einst dem Holocaust-Leugner Paul Eisner finanzielle Unterstützung an, und nennt auch Stefan Sizer seinen Freund, der durch die Theorie bekannt wurde, die Attentate 9/11 in New York wären das Werk des Mossad, des Israelischen Geheimdienstes. Er setzte sich für die Freilassung von Jawad Botmeh und Samar Alami ein, Palästinensische Terroristen, verantwortlich für ein Bomben-Attentat auf eine Israelische Botschaft und eine Israelische Hilfsorganisation. Er saß am Podium mit Dyab Abou Jahjah, der von dort aus erklärte, Europa leide unter dem Kult der Juden-Verherrlichung und des Holocaust.

Kritiker unterstellen dem Marxisten Corbyn eine eiskalte Strategie hinter der vorsichtig gestrickten anti-jüdischen und anti-israelischen Propaganda. Er selbst gäbe nie Statements von sich, die ihn in der antisemitischen Ecke platzieren würde. Es lässt es einfach geschehen, ohne sich selbst anzupatzen und hofft auf die Stimmen der Einwanderer aus arabisch/moslemischen Ländern der ersten und zweiten Generation, die bereits wahlberechtigt sind. Seine Strategie war bei den Regionalwahlen zum Teil erfolgreich, als in Wohnviertel mit starkem moslemisch/arabischen Anteil fast ausnahmslos Labour-Kandidaten gewonnen hatten. In anderen Gegenden zeigte sich ein gegenteiliger Trend. Labour verlor bei den Kommunalwahlen im Mai, die als Test-Wahl für Juni gelten, insgesamt ein Drittel der Sitze.

Falls Jeremy Corby, der die letzten dreißig Jahre auf den hinteren Bänken des Parlaments nicht weiter auffiel und in einem bis heute scharf kritisierten Handstreich mit der Unterstützung von nur 60% der Abgeordneten die Partei übernahm, scheitert, könnte das zu einer Spaltung der Labour Party in einen linken und links-liberalen Flügel führen. Ex-Parteichef Tony Blair hat bereits angekündigt, für eine Erneuerung der Partei bereit zu sein.

Literaturempfehlung:
Contemporary Left Antisemitsm, by David Hirsh, Routledge Verlag, London 2017

Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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